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PR NEO 0049 – Artekhs vergessene Kinder

PR NEO 0049 – Artekhs vergessene Kinder

Titel: PR NEO 0049 – Artekhs vergessene Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Fröhlich
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obersten Geschichtswahrer, um mit ihm über unsere Gäste zu sprechen.«
    Er wünschte dem Ausdünner eine erfolgreiche Jagd und verabschiedete sich.
    Gharjochuns Haus lag auf einem Hügel nahe der Teltry-Weide. Anders als die restlichen Behausungen der Khal-Nethor bestand es ausnahmslos aus Material, das der Khertak-Fluss ins Gatter gespült hatte. Ein Symbol dafür, dass man die Vergangenheit niemals vergessen durfte.
    Den Blickfang der Hütte stellte eine metallene Kiste rechts der Tür dar. Auf ihr war eine trübe Scheibe befestigt. Eines der kostbarsten Geschenke, die der Strom je gebracht hatte: Glas. Kostbar nicht nur, weil das Material so selten war, sondern vor allem wegen dem, was es zeigte: das Gesicht einer Frau!
    Prinzessin Crysalgira.
    Ihr Antlitz wirkte nicht ganz so anmutig, wie die Geschichten behaupteten. Dazu waren ihre Augen viel zu klein und zu flach. Außerdem zeichneten sich keine Linien unter ihrer Haut ab. Das Schönheitsideal hatte sich im Laufe der Zeit offenbar verändert.
    Thinche betrat die Hütte.
    Im Zentrum des Raums stand ein Sessel – ein weiteres Fundstück –, vor dem einige Matten auf dem Boden ausgebreitet waren. Die Tische an den Wänden lagen voll Treibgut. Gegenstände, mit denen sie im täglichen Leben nichts anfangen konnten und deren Zweck sich den Geschenkdeutern nicht erschlossen hatte. Sie hofften, der Geschichtswahrer könne eines Tages ihr Geheimnis enträtseln. Der Sessel war leer.
    »Gharjochun?«, rief Thinche.
    »Wer stört mich außerhalb der Unterweisungszeiten in meinem Schlaf?«, antwortete eine knarzige Stimme aus einem Nebenraum, dem Wohngemach des Geschichtswahrers.
    »Thinche, der Hochvater.«
    »Der Hochvater? Will er Geschichten hören oder bringt er sie mir?«
    »Ich bringe sie.«
    »Nun denn, dann muss er sich einen Augenblick gedulden, bis der Schlaf meine alten Knochen verlassen hat.«
    Es rumpelte und krachte von nebenan, gelegentlich unterbrochen von einem Ächzen. Dann betrat Gharjochun den Raum. Er nestelte an seinem bodenlangen Umhang, der vollständig aus den bunten Federn des Bolany bestand.
    Das Kleid des Raubvogels ist meiner Bestimmung angemessen, sagte der Geschichtswahrer stets. Denn Geschichten sind wie Vögel. Man muss sie festhalten, wenn man vermeiden will, dass sie aufsteigen, davonfliegen und man sie aus den Augen verliert.
    Gharjochun ging gebeugt, das lange weiße Haar hing ihm wirr ins Gesicht. Er schlich zu seinem Sessel und ließ sich unter lautem Stöhnen hineinsinken.
    »Thinche, mein Nachfolger als Hochvater seit vielen Zyklen. Was verschafft mir das Missvergnügen seiner Aufwartung zu dieser Unzeit, in der mein müder Körper nach Schlaf giert? Was hat er zu berichten?«
    »Wir haben Besuch bekommen. Von flussaufwärts.«
    Das Oberhaupt der Khal-Nethor hatte damit gerechnet, dass die Nachricht Gharjochun in Aufregung versetzte. Stattdessen sagte der Alte: »Natürlich von flussaufwärts. Von flussabwärts ist niemals jemand zurückgekehrt, wie ihm durchaus bekannt sein dürfte.«
    Plötzlich kam sich Thinche wie der kleine dumme Junge vor, der er vor unzähligen Zyklen gewesen war, der mit den Kindern seines Alters auf den Matten vor dem Sessel des Geschichtswahrers gesessen und den regelmäßigen Unterweisungen gelauscht hatte. »Natürlich.«
    »Mag er mir erzählen, was sich ereignet hat, oder ist seine Geschichte bereits beendet? Falls ja, war es eine der kürzesten Geschichten, die ich je gehört habe.« Gharjochun stockte, als ihm etwas auffiel. »Was meint er damit: Wir haben Besuch bekommen? Wir Khal?«
    »Leider nein.«
    Dem obersten Geschichtswahrer war sofort klar, was das bedeutete. »Auch die Thas?« Seine Stimme wurde ernst. »Berichte er!«
    Thinche gehorchte.
     
    Die wichtigste Einrichtung im Zweistromland war das Gatter. In ihm fingen sich die Geschenke, die der große Strom Khertak den Nethor brachte. Früher, als die Gaben des Flusses selten gewesen waren, hatte die Zyklenwacht eine nicht besonders aufregende Routineaufgabe dargestellt. Und das auch nur, wenn man sich freundlich ausdrücken und das Wort langweilig vermeiden wollte. Aber wie sollte man es anders bezeichnen, wenn man zwei lichte und zwei dunkle Zyklen lang auf der Brücke stand und sich der Khertak von seiner geizigen Seite zeigte?
    Selten war es zwischen den Khal und den Thas zu Streitereien gekommen. Natürlich hatte man den anderen besonders vielversprechendes Treibgut geneidet, dennoch hatte man sich an die vor Urzeiten nach dem

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