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PR NEO 0053 – Gestrandet in der Nacht

PR NEO 0053 – Gestrandet in der Nacht

Titel: PR NEO 0053 – Gestrandet in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka
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ihres Parfüms den gläsernen Raum.
    Vorsichtig nahm ich das Tuch entgegen und führte es an mein Gesicht. Der Stoff war hauchzart und der Duft an ihm noch frisch. Ich sog ihn tief ein und schloss eine Sekunde lang die Augen. Ich witterte keine Falle, denn wenn der Fremde mich hätte töten wollen, hätte er das auch einfacher haben können.
    »Öffne das Tuch«, sagte er.
    Ich tat wie mir geheißen und stellte fest, dass die goldenen Muster im Inneren, die ich für reines Dekor gehalten hatte, Schriftzeichen waren. Ihre Schrift.
    »Ein Geschenk für dich und Arkon, Liebster«, las ich laut, denn es war absurd anzunehmen, dass der Bote diesen offensichtlichen Satz nicht bereits selbst gelesen hatte. »Und Koordinaten.« Etwa sechzig bis siebzig Lichtjahre von hier. Leicht an einem Tag zu schaffen.
    Du glaubst doch nicht etwa, dass ich darauf anspringe, wies ich den an sich für Logik zuständigen Sektor meines Gehirns zurecht.
    Ach nein? Was sonst überlegst du denn gerade?
    Crysalgira ist nicht gerade für ihre Liebe zur Handarbeit bekannt ...
    Dafür gibt es Nähstifte.
    Also glaubst du doch ...
    Es ist zweifellos ihre Schrift. Diese Botschaft stammt entweder von ihr oder jemandem, der in der Lage ist, ihre Schrift überzeugend zu fälschen. Was ist dir lieber?
    Abermals sog ich den Duft des Tuches ein. Parfüms wie dieses folgten einer strengen Komposition, beinahe wie ein Gedicht. Ich roch den Frühling auf Arkon, trügerisch zart; die kühle Bestimmtheit des Kristallpalasts; und darunter wie eine lockende Spur für meine Sinne jenen schwereren, intimen Geruch, der einem bestimmten Flur anhaftete – dem Flur zu ihren Gemächern.
    Dir selbst in Krisenzeiten auf diesem archaischen Weg eine Botschaft zukommen zu lassen ist typisch Crysalgira. Außerdem, gesteh es dir ein, wäre dieser Bote wahrscheinlich nach ihrem Geschmack.
    Ich setzte schon zu einer scharfen Erwiderung an und hob den Blick, als gälte es, mit dem Fremden, nicht mit mir selbst zu streiten, doch ich führte den Gedanken nie zu Ende.
    Der Fremde war verschwunden.
    Ich steckte das Tuch ein und rannte zur Treppe. Nichts.
    »Positronik!«
    »Bereit«, antwortete die sanfte Stimme.
    »Wohin ist der Mann verschwunden, der eben noch hier war?«
    »Es hat seit einer Tonta niemand außer dir den Turm betreten.«
    »Du hast auf meine letzte Anfrage schon nicht reagiert. Liegt eine Fehlfunktion vor?«
    »Dein letzter Befehl an mich lautete, dir die eingegangene Hyperfunknachricht zu übermitteln. Ich kann keine Fehlfunktion an mir feststellen.«
    Gib es auf, riet mir mein Extrasinn. Mach dich lieber auf den Weg, solange die Lage noch ruhig ist. Du solltest die Kolonie nicht zu lange allein lassen.
    Ich zögerte. Schaute zum westlichen Horizont, an dem die Sonne gerade unterging und die weißen Trichterbauten der Stadt in blutrotes Licht tauchte. Die ausgebreiteten Schwingen des Kranichs, jenes eindrucksvollen architektonischen Kunstwerks mit seinen unzähligen Plattformen, versanken bereits in den Schatten.
    Ich hätte Crysalgira mein Leben anvertraut. Ich wusste, exzentrisch oder nicht, sie würde mir eine solche Botschaft nicht schicken, wenn es ihr nicht ernst wäre. Und vielleicht, vielleicht hatte sie wirklich ...
    Du meinst, sie war erfolgreich und hat einen Frieden mit den Methans ausgehandelt? Das ist ziemlich unwahrscheinlich, selbst für sie. Crysalgira könnte deinen Vater überreden, einen Kopfstand zu machen – aber Frieden? Mit den Methans?
    Ich musste meinem Extrasinn recht geben. Crysalgira war außergewöhnlich, unkonventionell. Und mutig. Offen für Verhandlungen mit den Ungeheuern einzutreten, die Arkon an den Rand des Untergangs brachten, wäre der vielleicht ultimative Tabubruch bei Hofe. Doch nicht jede Strategie musste zum Erfolg führen, bloß weil sie bislang unversucht geblieben war.
    Wieso willst du dann, dass ich zu diesen Koordinaten fliege?
    Wieso erwartest du, die Absichten deiner Schwester mit Logik erklären zu können?
    Ich fluchte und krallte die Finger in das Tuch in meiner Tasche. Wenn ich herausfinden wollte, was sie sich dabei gedacht hatte, musste ich es wohl darauf ankommen lassen.
    Ich eilte die Treppe ins nächste Geschoss hinab und nahm den Lift nach unten. Kurz erwog ich, eins der kleineren Schiffe aus meinem privaten Hangar zu nehmen, doch das schien mir zu gefährlich.
    Crysalgiras Geschenke mochten etwas mehr Feuerkraft zum Auspacken erfordern.
    Auf dem Weg zum Landefeld rannte ich fast in Kosol ter Niidar,

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