PR NEO 0053 – Gestrandet in der Nacht
Sie wusste, dass es in diesem Meer aus Statik wie in einem echten Meer gewisse Interferenzmuster gab, welche die Lotsen in einer weiteren nautischen Analogie als Strömungen und Untiefen auffassten. Jeder erfahrene Navigator wusste aber auch, dass diese Anomalien in der Regel insbesondere im Leerraum so minimal waren, dass man sie getrost ignorieren konnte. In diesem Wellenmuster eine Spur der ORESTOS zu suchen, kam Ihin da Achran wie der Versuch vor, den Flossenschlag eines Fisches am anderen Ende des besagten Meeres zu spüren.
Der Lotse berechnete einen neuen Kurs. Vor Nertan da Hindur erschien ein Holo mit einer Folge von Triebwerksimpulsen, die Rudergängerin bestätigte, und die VAREK'ARK neigte sich in die unsichtbare Strömung wie ein Segelschiff, das auf den anderen Bug ging. All das dauerte nur Millitontas, in denen sie mit vollem Impuls flogen. Ein neuer Datensatz, eine neue Sequenz von Kurskorrekturen, dann ein Sprungpunkt. Transition, ein kurzer Stich, dann vermaßen die Orter das neue Raumgebiet, und die Arbeit begann von vorn.
Seit nunmehr fast sieben Tontas bewegten sie sich auf diese Weise auf einem unregelmäßigen Spiralkurs entlang der Relaisstationen und erfassten dabei einen relativ willkürlich anmutenden Ausschnitt des Bereichs, in dem die ORESTOS wahrscheinlich rematerialisiert war. Sie alle waren müde und gereizt und trieben die Maschinen der VAREK'ARK bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Zwar waren ihre Sprünge selten weiter als vierzig Lichtjahre, aber die Pausen dazwischen lagen deutlich unterhalb der Spezifikationen des hochmodernen Schiffs. Ihin hatte sämtliche Sicherheitsprotokolle außer Kraft gesetzt, und der Lotse überging mehr als einmal die Berechnungen der Astronavigation und diktierte seine Koordinaten direkt in die Steuerpositronik der Triebwerke. Natürlich würden sie sich selbst hoffnungslos verirren, wenn ihm dabei ein Fehler unterlief, oder schlimmer noch, einen Fehlsprung mit unabsehbaren Konsequenzen für sie selbst und den Antrieb erleiden. Bei dem Gedanken daran, was sie da tat, wurde Ihin da Achran übel.
»Wenn wir nicht bald umkehren, werden wir unsere Verabredung mit dem Regenten nicht einhalten können«, gab Thomases, ihr Wissenschaftsoffizier, zu bedenken.
»Ich weiß«, sagte sie zerknirscht. »Aber wir geben nicht auf.«
»Rudergängerin!«, rief Nertan da Hindur aufgeregt. »Wir haben etwas gefunden!«
Mit klopfendem Herzen vergrößerte sie das Holo der Orterauswertung. »Ich sehe es.« Noch war es nicht mehr als ein schwacher Schimmer, 18 Lichtjahre entfernt. »Bringen Sie uns näher ran!«
Sie befanden sich nun weit außerhalb des Korridors und außerhalb der Funkreichweite der Relaiskette. Der Gedanke behagte Ihin da Achran nicht, und ihre Abhängigkeit vom Hohen Lotsen gefiel ihr noch weniger. Ohne ihn würde es nicht leicht werden, den Rückweg zum Tross zu finden. Selbst der riesenhafte perlmuttfarbene Wirbel Debara Hamtars und der strahlende Ball Thantur-Loks waren auf diese Entfernung keine Hilfe für die Positronik, die auf exakte Koordinaten für die Berechnung der Sprünge angewiesen war. Ohne Funk und ohne Ortung, mehrere Tausend Lichtjahre vom nächsten Stern entfernt, schwebten sie sprichwörtlich blind im Nichts. Ein Ausfall der Transitionstriebwerke bedeutete in einem solchen Fall das Todesurteil.
Doch sie waren nicht allein. Vor ihnen im leeren Raum hing ein anderer schwarzer Schatten: die ORESTOS – oder das, was noch von ihr übrig war.
Das Schiff war ein ehemaliger privater Kreuzer, der trotz seiner Größe auch für leichte Atmosphärenflüge ausgelegt war und deswegen grundlegenden aerodynamischen Prinzipien gehorchte: ein tropfenförmig zulaufender Bug, ein lang gestreckter Rumpf mit drei kurzen Tragflächen, die sich zu den Haupttriebwerken hin verbreiterten. Die vergangenen Jahre hatte das Schiff einer Sekte von Sternendienern gehört, die Pilgern eine regelmäßige Passage nach Kira Ariela boten. Ihin da Achran hatte es hingenommen, denn wie sie zu sagen pflegte: Der Inhalt eines Buchs machte einen hübschen Einband nicht schlechter.
Doch wo das Heck des Schiffs gewesen war, klaffte nun ein großes Loch im Rumpf, in dem man die einzelnen Decks wie die Stockwerke eines vom Sturm verheerten Hauses sehen konnte; und die großen Kammern des Transitionstriebwerks waren bloßgelegt wie eine aufgeplatzte, hohle Frucht, die Köpfe der Strukturfeldkonverter klebten wie Kerne an der zerfetzten Innenwand. Trümmerteile
Weitere Kostenlose Bücher