PR NEO 0055 – Planet der Stürme
mit Tineriaan aktivierte Ageare den Anzug und flog in die Höhe.
Sofort beruhigte sie sich. Es gab nichts, was so schön war wie Fliegen. Das Fahrzeug wurde kleiner unter ihr, es war unbedeutend wie die Furcht, die eben noch darauf gelauert hatte, hervorzuspringen. Sie war frei. Übermütig stieg Ageare höher, streifte die Fesseln von Erde und Alltag ab.
»Alles in Ordnung?«, fragte Tineriaan über Funk.
»Bestens, Großer. Hast du Peilung?«
»Du blinkst im schönsten Gelb auf meiner Ortung.«
Ageare sah zur Seite. Tineriaan machte in der Luft eine Drehbewegung und winkte ihr zu. Julef flog dicht hinter ihm. Seine Bahn schwankte ein wenig wie die eines Fliegers, der länger pausiert hatte, aber er hielt den Anschluss tadellos.
Sie näherte sich dem Naatgras. Die einzelnen Halme lagen in ausgewaschenem Rot in den Schatten der Wolken. Am Boden zwischen den Stielansätzen glitzerte Echsenschleim auf dem Blaumoos. Wasser verzweigte sich in weiten Bächen und Teichen um den Wald herum. Einzelne Xirdor lagen wie Seerosenblätter auf den Wellen.
Im Abstand von gut fünf Metern glitt Ageare über die Grastrichter hinweg. Die dunklen Öffnungen machten sie unruhig. Der Gedanke, in einen solchen Schlund hineinzutauchen, war gleichzeitig aufregend und beängstigend. Die Senkgräser waren in der Lage, in ihr jederzeit einen Eindringling zu erkennen und sich in den Boden zurückzuziehen. In dem Fall würden die Pflanzen Ageare mit sich reißen oder zerquetschen.
Sie stellte über das Helmvisier einen Zoom her. »Da drüben!« Ihre Hand deutete auf ein Büschel Senkgras, hoch wie die höchsten Gebäude Iringtais. »Näher ran!«
Auf dem breitesten Trichter, den sie bisher gesehen hatte, zeichnete sich eine blaue Spur ab. Ganting, ein Stoffwechselprodukt der Xirdor. »Sieht frisch aus. Ich fliege rein.«
»Sei bloß vorsichtig«, sagte Tineriaan.
Ageare grinste. »Übermutter.« Sie tauchte ab, ehe die Furcht stärker wurde. Von einem Moment auf den anderen verschwand das violette Licht der Abenddämmerung. Sie flog durch eine kaum zwei Meter breite Röhre, tiefer und tiefer, der Wurzelhöhle der Pflanze entgegen.
Im Licht der Helmlampe zeichneten sich Pflanzenstrukturen von verworrener Schönheit ab. Eine Krallenschnecke kroch die Innenseite des Trichters hinunter. Schon hatte Ageare das grün schillernde Schneckenhaus passiert, sank weiter in die Tiefe. Es fühlte sich an, als würde sie über einen Tunnel in eine Grabkammer eindringen.
Sie war in einer anderen Welt, nur einen Steinwurf von der ihr vertrauten entfernt und doch so fremd, dass sie trotz der Wärme fröstelte.
»Hast du einen?«, fragte Tineriaan.
»Keine Sichtung.« Ageare bemühte sich, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. Die zunehmende Enge und die Dunkelheit setzten ihr zu. Vor ihr verjüngte sich der Durchgang, sodass sie fürchtete, stecken zu bleiben. Doch während sie sich näherte, sah sie, dass sie genug Platz hatte, um hindurchzukommen.
Der Helmscheinwerfer zuckte. Sie riss sich zusammen, um den Kopf ruhig und kontrolliert zu bewegen. Von unten stieg ein muffiger Geruch nach Brackwasser und Verwesung auf. Sie passierte den Engpass und stieß in einen sieben Meter langen Hohlraum vor. Das Licht riss bleiche Knochensplitter aus der Finsternis. Ein zerfallenes Skelett, groß wie der Leib einer Thersu, lag auf dem Boden der Wurzelhöhle, dem Aufbau nach eine kleinere Echse.
Pflanzenstränge, dick wie ein Unterarm, lagen verflochten um das Gerippe, als wäre die Pflanze zum Leben erwacht und hätte das arme Geschöpf gefressen. Ageare wagte nicht zu landen. Der vegetative Organismus des Graswedels konnte darauf empfindlich reagieren und die Schwellkörper anregen, sich zusammenziehen.
»Wie sieht es aus?«, fragte Tineriaan. »Schalt mir ein Bild.«
»Es gibt nichts zu sehen. Fehlalarm. Wenn hier unten ein Xirdorrudel gewesen ist, hat es das Weite gesucht. Ich ...« Eine Bewegung am anderen Ende der Wurzelhöhle ließ Ageare innehalten. Ein Xirdor von der Größe eines Badetuchs schwebte dicht über den Wurzelsträngen dahin. »Sichtung! Ich fliege ihm nach!«
»Du bist verdammt weit am Rand dieser Höhle. Gibt es da einen Durchbruch?«
»Ja.« Ageare erkannte einen langen, schlauchförmigen Tunnel. »Er führt in ein Nebengras.«
»Lass es lieber! Du könntest dich verirren, und der Wind nimmt zu.«
»Wo liegt die Skala?«
»Vier Intrim«
Also genug Luft nach oben. Unter sechs Intrim würde die Pflanze auf jeden Fall stabil
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