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PR Odyssee 05 - Das strahlende Imperium

PR Odyssee 05 - Das strahlende Imperium

Titel: PR Odyssee 05 - Das strahlende Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Borsch
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noch am Leben. Etor-tai war in vielerlei Hinsicht wie eine zweite Mutter zu ihr, aber wenn die Vorreiterin über etwas nicht sprechen wollte, konnte sie stur wie ein junges Sturmtier sein, und der übrige Clan folgte in stillem Einverständnis ihrem Vorbild.
    Ein erster Sonnenstrahl fiel auf das Gras des Lagerplatzes. Das Gemurmel der Krieger, der hohe Singsang der Geschichte-Erzähler, die die Formation durcheilten und die Krieger mit ihren Berichten von den Taten der Ahnen beflügelten, verstummte. Selbst das heisere Schnaufen der Sturmtiere, die die plötzliche Veränderung spürten, wurde vom Morgenwind davongetragen und lebte nicht wieder auf.
    Der Clan verharrte in atemloser Starre, die Blicke auf das Zelt der Vorreiterin - neben dem Himmelszelt das einzige, das noch nicht abgebaut worden war - gerichtet. Auch Argha-cha sah zum Zelt ihrer Großmutter, versuchte, die Größe des Augenblicks ganz in sich aufzunehmen und gleichzeitig die tanzenden Schemen der Jäger des Empires, die nach dem überstürzten Aufbruch des Gesandten über dem Lager Position bezogen hatten, zu ignorieren.
    Ein Arm stieß die Zelttür auf und verhakte die Plane in einer Schlaufe. Der Arm verschwand, und aus dem Dunkel des Zelts trat die Vorreiterin. Sie trug keine Maske, hatte aber das Gesicht mit dunklem Pulver eingerieben, sodass das Weiß ihrer Augen unnatürlich groß hervortrat. Argha-cha kannte die Symbolik: Augen, denen nichts entging.
    Kein Zaudern unter den Kriegern, schon gar keine Feigheit.
    In ihren Armen trug Etor-tai das Menschbild.
    Argha-cha wurde zugleich an eine Mutter erinnert, die ihr - wenn auch erwachsenengroßes - Kind in den Armen hielt, und an eine Puppe. Das Tuch bedeckte wie üblich Kopf und Oberkörper des Menschbilds, aber die Beine und einer der Arme hingen leblos herab. Das Menschbild war in die Rüstung eines Kriegers gekleidet.
    Etor-tai schien das Gewicht des Menschbilds nichts auszumachen. Gerade aufgerichtet verharrte sie einen Augenblick lang und verneigte sich in Richtung der Sonne, dann trat sie zu ihrem wartenden Sturmtier. Behände kletterte sie den Dreifachsteigbügel hinauf und setzte das Menschbild auf den hinteren Platz des Doppelsattels, es rutschte in die tiefe Mulde des Sattels und blieb aufrecht sitzen, obwohl seine Glieder weiter kraftlos herabbaumelten. Etor-tai schwang sich mit einem Satz in den vorderen Platz des Sattels.
    Die Vorreiterin überblickte die Formation. Ihr musste gefallen, was sie sah, denn sie lächelte. Ihre Zähne waren komplett und so weiß wie die eines jungen Mädchens. Mit einem Ruf, in dem sich für Argha-cha der schneidende Wind der Steppen, das Brennen der Mittagssonne, der beißende Qualm der Sturmtierdungfeuer und das Donnern ihrer Hufe vermengten, grub Etor-tai ihre Stiefel in die Flanken ihres Tieres.
    Ein Ruf aus vielen tausend Kehlen antwortete ihr. Argha-cha legte ihre Angst in ihren eigenen Schrei, die Zweifel, die sie diese Nacht - ihrer letzten? - nicht hatten schlafen lassen und von denen sie niemandem erzählen durfte, weil man sie ausgelacht und ihr das Peitschenholster der Halbwüchsigen wieder genommen hätte.
    Argha-cha war, als hatte sie ihre Ängste mit diesem einen Schrei gebannt. Der Clan brach endlich auf, und beim Anblick des stolzen Zugs, auf dessen Rüstungen das erste Sonnenlicht glitzerte, schalt sie sich ein törichtes Kind. Der Clan der Mongaal war mächtig. Furcht erregend. Wer würde es wagen, sich ihm in den
    Weg zu stellen?
    Eine Stimme klang hinter ihr auf. »Jetzt zerrt sie das verfluchte Ding auch noch auf ihr Sturmtier! Ich frage mich, was als Nächstes kommt. Dass wir dem Menschbild statt einem Menschen gehorchen sollen?«
    Argha-cha schreckte hoch und wäre beim Versuch, sich umzudrehen, um ein Haar aus dem Sattel geglitten, hätte Chemlai ihre ungeschickte Bewegung nicht ausgeglichen.
    »Echrod! Was fällt dir ein, dich an mich heranzuschleichen? Und wie kannst du es wagen, so über die Vorreiterin zu sprechen?«
    Argha-cha funkelte den jungen Mann, der an ihrer Seite erschienen war, wütend an. Echrod-or ritt ein einfaches Tragtier, eine alte Stute, die gerade noch genug Kraft besaß, den schmächtigen Nodronen zu tragen. Die Stute war ein erbärmliches Exemplar eines Tragtiers. Ihre Beine waren krumm und kurz, und ihr Rücken hing so tief durch, dass die Zehenspitzen Echrod-ors nur einen Fingerbreit über dem Boden blieben. Hätte der Clan nicht bereits einen Spaßmacher gehabt, jedermann hätte Echrod-or dafür

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