PR Rotes Imperium 01 - Die fossile Stadt
hoch. Die Wasserstrahlen ergaben einen schmalen Weg, von einer Seite der Höhle zur anderen, über einem Abgrund von gut und gern 30 Metern.
Ellert fühlte das Kribbeln unter den Beinen. Die Urgewalt des heißen Wassers. Er sank einen Schritt tief ein, schaffte es aber, die Balance zu halten. Sein Ausgehanzug – der einzige und beste – war binnen weniger Augenblicke völlig durchnässt. Ellert hielt die Hände vor den Schritt, um seine wichtigsten Körperteile zu schützen. Dann ging er weiter. Umgeben von Wasser, nach Luft schnappend, immer tiefer in das Strahlenbad gedrückt.
Er wusste, dass dieses nasse Bauwerk nicht real war. Die Wassereruptionen erfolgten in völliger Stille. Nur sein Seufzen und sein Atmen waren deutlich zu hören. Schritt für Schritt quälte er sich vorwärts. Mit wachsendem Vertrauen und Glauben an sich selbst. Nichts konnte ihm passieren, niemand konnte ihm etwas anhaben. Dies war sein Traum, sein ganz persönlicher Wahnsinn.
Wenn er aufwachte, wahrscheinlich mit fürchterlichen Kopfschmerzen und möglicherweise mit durchnässter Hose, würde er einiges zu erzählen haben – und Frettel um ein Glas seiner besonderen Mixtur anbetteln. Um dieses grässliche, grünfarbene Gesöff, das einen Alkoholanteil von jenseits von Gut und Böse aufwies und einem das Hirn ausbrannte – oder aber in den Zustand absoluter Nüchternheit zurücktrieb.
Ellert erreichte den Scheitelpunkt seines Marsches durch die Wasserfontänen. Ab und zu konnte er zwischen den Strahlenvorhängen einen Blick auf das rettende »Ufer« erhaschen. Seine Beine fühlten sich taub an, die Gesichtshaut brannte wie Feuer.
Es ging fühlbar bergauf. Das Wasser wurde noch heißer, noch intensiver. Dichte Dampfwolken blubberten links und rechts empor, kreisten ihn ein, als wollten sie ihn auffressen.
Kein Schmerz. Keine Angst. Alles ist nur ein Traum…
Noch zehn Schritte vielleicht. Die Sicht klärte sich allmählich. Die Brücke gab ihren Widerstand auf. Es war, als ob sie einsähe, dass er siegen würde. Dass sein Glaube zu stark war, um angesichts dieser phantasmagorischen Landschaft zu versagen.
Die Sicherheit versprechenden Felsen der gegenüberliegenden Seite waren nun zum Greifen nahe. Er brauchte nur noch die Hände ausstrecken und sich nach vorne hechten…
Unter einem Flechtengewächs huschte ein Etwas hervor. Eine Maus. Klein, alt und zittrig. Sie stellte sich auf die Hinterpfoten, putzte mit den vorderen ihre Schnauze und blickte ihm aus roten Augen entgegen.
»Wer… bist du denn?«, hörte sich Ellert fragen. Er bereute augenblicklich seine Unvorsichtigkeit. Ein Wasserstrahl drang in Mund und Nase, füllte seinen Rachenraum fast vollends aus. Dies alles geschah nach wie vor in schrecklicher Lautlosigkeit.
»Ich habe auf dich gewartet«, antwortete die Maus mit piepsiger Stimme. Sie schied ein dunkelbraunes Körnchen aus und schob es mit den Hinterbeinen geschickt von sich. »Ich bin Chahim. Der schreckliche Wächter der Brücke.«
Schellinger hätte über Chahim gejubelt und sie als unmittelbaren Beweis seiner These verwendet, dass man »aus jeder Maus einen Elefanten machen sollte«.
Nun – Ernst Ellert war zu erschöpft und zu verwirrt, um allzu viele Gedanken an den ungeliebten Redakteur zu verschwenden. Er war von der… Erzählstimme seines Drogentraums darauf vorbereitet worden, gegen einen Wächter kämpfen zu müssen. So klein die Bedrohung auch wirken mochte – er würde sie ernst nehmen.
»Würdest du mir bitteschön Platz machen?«, fragte er so höflich wie möglich. Er musste mehrmals unterbrechen, um Wasser auszuspucken.
»Nein. Ich mag dich nicht. Du hast hier nichts zu suchen.«
Chahim drehte ihm den Hintern zu. Der dunkelrote Schwanz wirkte bedrohlich. So, als könnte er jederzeit zu einer mehrere Meter langen Peitsche anwachsen und ihn mit einem Hieb von der Wasserbrücke fegen.
Ellert war ein Bonvivant. Ein Mann, der Gewalt verabscheute und stets nach friedlichen Lösungen suchte. Er hatte gelernt, sich mit der Kraft des Wortes zu verteidigen, und sich, wenn das nicht ausreichte, so rasch wie möglich zurückzuziehen.
Mit anderen Worten: Er hatte in Wirklichkeit große Angst vor einer offenen Auseinandersetzung.
Doch dies hier war eine Ausnahmesituation.
Er spannte seinen Körper an. stieß sich von der Brücke ab und schnellte sich nach vorne. Quer durch den Wasservorhang, auf Chahim zu. Er erwischte die völlig überraschte Maus, packte sie am Schwanz, riss sie trotz
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