PR Rotes Imperium 02 - Requiem für Druufon
er verspürt hatte, dass ein weiteres Experiment fehlgeschlagen war.
Die beiden Besucher näherten sich dem Krüppel. »Kommt nur, kommt!«, rief er und kicherte. »Tretet ein in unsere Stadt!« Sein Verstand entsprach dem eines Dreijährigen. Für Bavo war der Krüppel ein entsetzlicher Spiegel, der ihm zeigte, wie sein eigenes Leben hätte verlaufen können.
Schweigend passierten sie das Haus mit den stumpfgrauen Wänden und den verdunkelten Scheiben. Es war öde und trist, wie die gesamte Existenz des Irrsinnigen. Bei der ersten medizinischen und psychologischen Untersuchung hatte Bavo ernsthaft in Erwägung gezogen, Sterbehilfe an einem seiner Filiate zu leisten. Doch wo war die Grenze? Wenn er es einmal tat, würde er nicht immer wieder vor derselben Entscheidung stehen? Er durfte es nicht tun, durfte nicht sich selbst Schaden zufügen.
»Geht nur, geht!«, rief der Wahnsinnige. »Geht in unsere Stadt!«
Die Bewohner der Nekropolis lebten in Flachbauten, deren Dächer die Farben des braungrauen Bodens aufwiesen. Jedem der knapp einhundert Menschen stand ausreichender Wohnraum zur Verfügung. Nicht nur die Filiate lebten in der Stadt, auch Bavos Kinder, die er mit Siri und ihren Vorgängerinnen gezeugt hatte. Viele von ihnen waren inzwischen alt, andere seit Jahrhunderten tot. Im Thanatophilen Dom reihten sich Hunderte Urnen aneinander. Noch ein Jahrtausend, bis die Asche der Filiaten, Söhne und Töchter den Himmel verdunkeln konnte.
Eine Tür öffnete sich quietschend, und ein Mädchen trat aus einem der Häuser. Das Gebäude unterschied sich in Nichts von denen, die es flankierten.
Die Haare des Kindes reflektierten weißblond das Sonnenlicht. Goldene Tupfen glänzten in den Strähnen. Die Gesichtszüge wirkten plump, doch in den Augen glomm Schläue. »Mama hat gesagt, dass du kommen wirst. Du bist der Gründervater, oder?«
Bavo beugte sich zu dem Kind hinab.
Der Hauptfiliat ging weiter - eine Verabschiedung war nicht nötig. Sobald Bavo wieder in der Filiationskammer lag, würden sie eine Einheit bilden, genau wie all die Jahre zuvor. Dies war kein Abschied, sondern nur ein Wandel.
Der Mund des Mädchens glich seinem, auch die etwas vorstehenden Schneidezähne waren fast identisch. Die Augen- und Stirnpartie jedoch stammte eindeutig von Siri. Das Kind war das Ergebnis der Verbindung zweier Filiate; weder Bavo persönlich noch das Siri-Original waren an seiner Zeugung beteiligt gewesen. Dennoch war er sein Vater, denn er erinnerte sich an alles. Jedes Detail von der Zeugung bis zur Geburt hatte er in der Filiationskammer miterlebt, denn er wusste alles, was der Filiat auch wusste. Genau vier Jahre war es jetzt her, dass der Filiatenabkömmling das Licht der Welt erblickt hatte.
»Du hast recht, Elini«, sagte Bavo. »Ich bin es, mein Kind.«
Elini ruckelte mit den Schultern vor und zurück, trippelte von einem Bein aufs andere. »Ich habe eine Frage an dich.«
»Dann stell sie!«
»Mama sagt, wir dürfen nicht aus der Stadt gehen. Warum?«
Er dachte nach. Noch nie hatte jemand die Nekropolis verlassen. Wer hier lebte, wusste, dass er an diesen Ort gehörte und bleiben würde, bis er eines Tages in einem der Flachbauten starb. Niemand kam auf den Gedanken, die Familie zu verraten. Auch Elini würde in der Nekropolis alt werden und eines Tages sterben, ohne selbst Kinder gezeugt zu haben. So sah es das Gesetz vor, das das Leben in der Totenstadt regelte. Es durfte stets nur eine Generation nach Bavo Velines geben. Doch diese erfand sich immer wieder neu.
»Sag schon!«, forderte Elini.
»Du musst hierbleiben, weil die Welt dort draußen gefährlich ist. Nur hier bist du sicher vor bösen Menschen.«
Das Mädchen sah ihn aus großen Augen an. Es hörte auf zu trippeln, zog ein Band aus der Hosentasche und flocht damit die blonden Haare zu einem Zopf. »Komm mich wieder mal besuchen«, sagte es und hüpfte davon.
Die Tür des Hauses, aus dem Elini gekommen war, stand weiterhin offen. Kein Laut drang aus dem Inneren. Die Mutter schien nicht zu Hause zu sein.
»Für Elini ist die Welt einfach«, sagte eine Stimme neben Bavo. Sie klang fast wie seine eigene, nur höher. Es war die eines jungen Mannes. »Aber das wird sich ändern. Je länger sie hier lebt, umso mehr wird sie sich den anderen angleichen. Wir sind die Unerwünschten, die Abgeschobenen. Wir sind Leichen, die nur noch nicht wissen, dass sie tot sind.«
Nur einer würde sich erlauben, so mit ihm zu reden. Es war Salesch Fahrom, der
Weitere Kostenlose Bücher