PR TB 014 Die Nacht Des Violetten Mondes
sprichst wahr, aber deine Rede ist aus Haß
entstanden. Dein Zauber taugt nichts mehr, und du neidest dem
Wanderer meine Gunst. Schweige jetzt!“
Er winkte seinen Kriegern.
„Und auch der violette Mond wird nicht erscheinen“,
sagte der Schamane wütend, „und ich werde hinterher einen
großen Zauber machen müssen.“
Der König sah ihn verachtungsvoll an, dann sagte er langsam,
aber sehr bestimmt: „Nehmt ihn und bindet ihn am Rand der Stadt
an einen Baum. Schlagt ihn mit Stöcken und laßt ihn dort,
damit er den großen Zauber der Nacht nicht stört.“
Die Krieger schleppten den Schamanen fort, und der Rand der
Tempelstadt war zu weit entfernt, als daß seine Schreie bemerkt
worden wären. Mit der Dunkelheit kam die zitternde Erwartung.
Die zahllosen Menschen schienen gelähmt zu sein. Nur noch
geflüsterte Worte wurden gewechselt. Alles versank in der
unheimlichen Stimmung. Die Stunden strichen dahin, während die
Flammen der großen Feuer loderten. Anahay stand vor der
Grashütte und beobachtete die Gesichter der Männer, die
unablässig zum Himmel hinaufsahen. Nacheinander erschienen die
Sterne in der Schwärze. Endlich war der Himmel gestirnt; der
rotierende Schleier des fernen Milchstraßenmittelpunktes
stand senkrecht über dem Feld.
Der Mond war voll. In den letzten Tagen hatte er unablässig
zugenommen und zeigte sich jetzt als große, gelbe Scheibe. Das
Licht, das er auf die Fläche warf, vergrößerte den
geheimnisvollen Eindruck. Jetzt war es Anahay unmöglich, auf
seine versteckte Uhr zu sehen; er mußte warten wie die
tausendachtundfünfzig Häuptlinge ihre Krieger und die
Trägerinnen. Einen Moment lang dachte er an das Mädchen,
das er in seiner kleinen Hütte am Seeufer zurückgelassen
hatte. Sie war, wie viele der jungen Eingeborenen, rasch in der
Auffassung und von flinken Gedanken. Es war eine Möglichkeit,
ein Schulungskorps aus Eingeborenen zu bilden; sie sprachen den
Dialekt als Muttersprache und würden gute Erfolge in der
Bildungsarbeit erzielen können. Es galt, die versunkenen
Erinnerungen zu wecken und zu fördern.
Ein Krieger neben ihm starrte den Mond an, dann öffneten sich
seine Lippen, und ein tiefer Seufzer entrang sich der Kehle.
„Wann, Wanderer, kommt der Mond... ?“
„Warte - wie ich“, entgegnete Anahay leise. Und dann
sahen sie es.
Der violette Mond war zuerst klein und fast unsichtbar. Er kam aus
dem schwarzen Schlund des Weltalls, leuchtete zwischen den Sternen
und kam immer näher... näher. Er richtete seine Flugbahn so
ein, daß er sich zwischen die Betrachter und den eigentlichen
Mond schob und seinen Glanz über die Runde strahlte. Unbeweglich
und starr stand die vollkommene violette Kugel dort. Zehn Minuten
lang, und das Schiff senkte sich nieder. Anahay atmete erleichtert
auf, als er sah, daß sich der Pilot an die freigehaltene Fläche
hielt und genau dort stehenblieb. Das infernalische Leuchten erlosch,
und reine, weiße Helligkeit trat an seine Stelle. Der stählerne
Körper des Schiffes war eine Insel in der Dunkelheit. Das
riesige Schott glitt auf. Eine Stimme ertönte: „Hier kommt
der König der anderen Welten. Ich grüße euch, und ich
werde den Weg gern beschreiten, auf daß mein Fuß nicht
strauchle. Ich rufe Anahay, den Wanderer von fern. Komme mir
entgegen.“
Ein vielstimmiges „Ahn!“ ging durch die Versammelten.
Sonst war es totenstill. Anahay griff nach seinem Bronzebeil und ging
langsam den Pfad entlang, seinem Freunde Scott entgegen. Es war
geschafft - bis auf geringe Einzelheiten.
*
Jemand, der Mitleid gehabt hatte, zerschnitt seine Fesseln. Der
Haß und das brennende Gefühl der erlittenen Demütigung,
verbunden mit dem Schmerz über die Stockhiebe und dem Zucken der
Haut, wenn immer er sich bewegte, trieben Lakebavo näher an das
Geschehen hin. Er stöhnte leise auf, als er seinen rechten Arm
nach hinten bog. Hinter den Gliedern der drei mittleren Finger ruhte
die Tiersehne des gewaltigen Bogens. Ein langer Pfeil ruhte auf der
Daumenspanne der linken Hand und zitterte etwas. Lakebavo trat
vorsichtig hinter die Krieger, die rund um die beiden leeren Sessel
standen.
Vierzig Schritte vor ihm ging Anahay ruhig und gemessen die breite
Gasse entlang. Die Sehne schwirrte, und der helle Blitz des Pfeiles
schlug zwischen den Schulterblättern des Wanderers ein. Entsetzt
sprangen die Krieger zur Seite.
„Lakebavo... Mord!“ schrie jemand.
Anahay drehte sich um. Der helle Pfeil ragte zwei knappe
Unterarmlängen aus dem
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