PR TB 042 Das Erbe Der Jahrtausende
trugen, war angefallen und so
schwer verletzt worden, daß sie es erschießen mußten.
Zwei andere hatten an einer seltsamen Krankheit gelitten und waren
mit einer Doppelwache zurückgelassen worden. Gesund und kräftig
waren sie eine Woche später wieder zurückgekommen.
Und Sherpa hatte zahllose Siege errungen..
Jeden Tag, jede Nacht mußte er gegen die metallene
Verlockung an seinem Handgelenk kämpfen, die alles schlagartig
beendete. Er fühlte, wie sein Körper mit jedem Tag immer
kräftiger, ausdauernder und
sehniger wurde. Er bohrte neue Löcher in seinen Gürtel
und schwamm mit Aguilar um die Wette. Sein Körper wurde wieder
zu dem funktionierenden Präzisionsinstrument, und die Gifte des
Alkohols, der Trägheit und der unnützen Schlafperioden
waren ausgeschwitzt worden.
Aber das Gift der Gleichgültigkeit durchlief noch immer den
Kreislauf des Verstandes.
Er spürte, wie es geringer geworden war.
Noch fehlte die Addition aller jener kleinen Siege. Noch fehlte
der Schlußpunkt. Und er hoffte, daß er auch weiter
durchhalten konnte.
Drei Worte waren pausenlos zu hören:
»Wir reiten weiter.«
Der fünfundvierzigste Tag..
Nun betraten sie einen tiefen Einschnitt inmitten der Wälder.
Als sie den langen Hang travestierten, erblickten sie über sich
zum erstenmal nach einem Viertel ihres langen Weges den
kupferfarbenen Himmel und die Sonnenscheibe und unter sich die
breiten Läufe zweier Flüsse, die in genau parallel
zueinander verlaufenden Windungen durch das lange Tal flossen.
»Zwei-Flüsse-rennen-nebeneinander!« rief Sherpa
und hob seine Hand.
Das Land war wie ein gigantischer, unwirklicher Park - hier oben
konnten sie die Ausdehnung fast nicht überblicken. Kühle
kam den Abhang herauf, und zwischen einzelnen Baumgruppen waren die
Herden noch unbekannter Tiere zu erkennen. Tausende und Tausende.
An einer Stelle überspannten zwei Brücken die Flüsse.
»Wir halten darauf zu. Ich kenne eine Luftaufnahme., hier
unten muß eine Siedlung sein!« sagte Sherpa und ließ
die Zügel los. Sein darcan fand von selbst die günstigste
Abstiegsroute.
Gegen Abend kamen sie an.
Außerhalb des Dorfes stießen sie auf eine
Raubtierfalle; ein mächtiges Geviert aus weißen,
geschälten Stämmen, an denen die eingetrockneten Spuren von
Blut zu sehen waren. Ein Raubtier, das keiner von ihnen je gesehen
hatte und Sherpa nur von den Erzählungen Alissars kannte, war
offensichtlich erst vor kurzer Zeit gefangen worden. Sie hielten an
und sahen ein schneeweißes Tier die Stäbe entlanggleiten
-lautlos, in einer ewigen und abstumpfenden Monotonie.
Miguel Alarcon ritt neben Sherpa und sagte:
»Wie ein Symbol. Ein Symbol der Hoffnungslosigkeit, der
totalen Gefangenschaft.«
Sherpa lächelte und sagte:
»Ja. Ein Symbol. Genau das. Es gibt schlimmere Formen der
Gefangenschaft als die des Körpers. Die Gitterstäbe, die
den Verstand einengen.«
Sie schwiegen und betrachteten das Tier.
Weiß und gefährlich, mit einem goldglänzenden
Rachen und roten Zähnen. Auch die Augen waren rot. Die
Bewegungen waren ineinandergreifend und schnell. Ein eigenartiger
Geruch umwehte das Tier.
Zwei schlanke, knabenhafte Mädchen in Rauhlederkleidung und
hohen Stiefeln kamen aus der Siedlung. Sie waren ähnlich wie das
Raubtier; schattenhaft gleitend und lautlos. Sie trugen in stählernen
Köchern mit Pelzbesatz lange, weiße Pfeile und entspannte
Bögen. In breiten Gurten steckten flammenförmige Dolche.
»Weißer Mann«, sagte eines der Mädchen,
»wir hörten die Trommeln, die euch durch die Wälder
begleiten. Willkommen in unserem Dorf.«
Das andere Mädchen lächelte und fuhr fort:
»Dembele schickt uns. Wir sollen euch ins Dorf bringen. Ihr
bleibt länger?«
Sie redeten in der »wahren Sprache«.
»Vielleicht einige Tage«, erwiderte Sherpa. »Wir
schlafen in unseren eigenen Häusern und schießen unser
eigenes Wild. Aber wir wohnen gern in eurem Dorf. Wie ist der Name
dieser Siedlung, Mädchen?«
Sie schüttelten die langen, schmalen Schädel.
»Das Dorf hat keinen Namen.«
Sherpa zuckte die Schultern. »Gut. Wir kommen - ho!«
Neben sich die beiden Botinnen, ritten Sherpa und seine dreißig
Schützlinge in das Dorf ohne Namen ein. Sie übergaben die
Tiere anderen Mädchen, die herbeigeeilt waren, und zögerten
dann. Was sie sahen, war zumindest ungewöhnlich.
Das Dorf ohne Namen war ein Dorf der Amazonen.
»Dembele!« Nur ein einziges Wort sagte Sherpas
Begleiterin, dann wies sie auf den fast gotisch geformten
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