PR TB 067 Der Endlose Alptraum
aus dem Askadir-Gebirge erhielt ich
erst neun Monate nach dem ersten. Aber er war nicht von Phillip,
sondern - äh -von seiner Frau verfaßt. Sie schrieb nur
über banale Dinge: daß sie schönes Wetter hätten,
daß es ihnen gutginge und daß Phillips Arbeiten
Fortschritte machten. Sehen Sie, Noir, und weil sie mir nur solche
Banalitäten mitteilte, zog ich den Schluß, daß das
alles nicht stimmte. Ihr ging es nicht gut, und Phillips Arbeiten
machten keine Fortschritte - ich las das zwischen den Zeilen. Aber
wahrscheinlich getraute sie sich nicht die Wahrheit zu schreiben,
weil Phillip es ihr verbot. Er war schon immer herrschsüchtig
und rechthaberisch gewesen, deshalb war es möglich, daß er
in der Einsamkeit zu einem wahren Tyrannen wurde.
Ein weiteres Jahr später bekam ich den letzten Brief von
Halperoon. Er war wieder von Phillip abgefaßt, und in ihm war
die Bestätigung für alle meine geheimen Sorgen und
Befürchtungen enthalten. Phillip schrieb ausschließlich
über seine Ausgrabungen, kein Wort über das Befinden seiner
Frau oder seines Kindes. Und er behauptete wahrhaftig, den Schatz von
Askadir gefunden zu haben und versprach, mich nach Halperoon zu
holen, wenn er ihn gehoben hätte. Darauf wollte ich natürlich
nicht warten, denn schon eine oberflächliche Analyse des Briefes
ließ mich zu dem Schluß kommen, daß er - äh
-geistig nicht mehr ganz auf der Höhe war. Deshalb flog ich nach
Halperoon, um ihn aufzusuchen. In der Hauptstadt Accoun konnte man
mir keine Hinweise über seinen Aufenthalt geben, und auch alle
privaten Ermittlungen, die ich in die Wege leitete, blieben
ergebnislos. Mit Unterstützung der Universität rüstete
ich eine Expedition ins Askadir-Gebirge aus. Meine einzige Hoffnung
auf Erfolg war, daß Phillip bei seiner ersten Expedition eine
Entdeckung gemacht hatte, die er in seinem Bericht verschwieg, und
daß er sie nun in Eigenregie auswerten wolle. Deshalb folgte
ich der Route der ersten Expedition. Aber ich fand keine Spur von
Phillip. Ich hörte nie mehr von ihm - in all den Jahren erhielt
ich von Phillip kein Lebenszeichen, noch brachten mich die
behördlichen und privaten Untersuchungen weiter.
Schließlich mußte ich meine Suche nach Phillip Costa
aufgeben. Er war verschollen, vielleicht tot. Damit mußte ich
mich abfinden.«
Geranger ließ sich schwer atmend in einen Ledersessel
fallen. Er lächelte schwach. »Ich habe Ihnen gesagt, daß
mich diese Geschichte aufwühlt, Noir. Dabei ist es erst der
erste Teil.« Er machte eine Pause,
in der er Atem schöpfte. Dann fuhr er fort: »Gestern
abend, bei einem Bummel durch das Vergnügungsviertel der
Altstadt, machte ich die Bekanntschaft eines interessanten Mädchens.
Nein - äh - nicht auf die Art, wie Sie es sich vielleicht
denken. Aria genügt meinen Ansprüchen vollkommen. Ich wurde
auf das Mädchen durch einen seltsamen Umstand aufmerksam. Aber
den möchte ich Ihnen vorerst noch verschweigen.«
Der Psychologe machte wieder eine Pause.
Noir sagte: »Und von diesem Mädchen erfuhren Sie etwas
über Phillip Costas Schicksal?«
»Sind Sie auch Telepath?« wunderte Geranger sich.
»Keineswegs«, lachte Noir, »aber diese Pointe
war doch nicht schwer zu erraten.«
»Sagen Sie das nicht«, meinte Geranger. »Sie
sind wohl nahe an der Wahrheit, aber den Knalleffekt konnten Sie mir
nicht vorwegnehmen. Das Mädchen hat nämlich vor drei
Monaten auf Halperoon Phillips zwei Söhne kennengelernt!«
»Die Überraschung ist Ihnen gelungen«, gestand
André Noir. »Doch haben Sie vorhin gesagt, Phillip
Costas Frau habe ihm nur einen Sohn geschenkt.«
»Das habe ich so lange glauben müssen, bis ich gestern
von dem Mädchen die Wahrheit erfahren habe.«
»Und damit beginnt der zweite Teil Ihrer Geschichte?«
»Den kann ich Ihnen leider nicht erzählen«,
meinte Geranger. Er blickte auf die Uhr. »Ich erfahre ihn
selbst erst von dem Mädchen. Wenn Sie ihn ebenfalls hören
wollen, kommen Sie mit, Noir. Das Mädchen erwartet mich in
dreißig Minuten in einem Hotelzimmer in der Altstadt.«
Noir blickte unwillkürlich auf.
Gerangers Gesicht wurde von einer leichten Röte überzogen.
Ein wenig ärgerlich sagte er: »Sie hat eine geradezu
panische Angst vor ihrem Vater, deshalb dieser - äh -
ungewöhnliche Treffpunkt.«
»Ich wollte Ihnen keineswegs unseriöse Absichten
unterschieben«, entgegnete Noir kühl.
»Schon gut.« Professor Geranger winkte ab. »Kommen
Sie mit?«
»Keine Macht des Universums könnte mich davon
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