PR TB 067 Der Endlose Alptraum
und Noir ging zur Tür,
um den Robot mit den Getränken einzulassen. Aber es war nicht
der Robot, der die Getränke brachte. Es war ein rothaariges
Mädchen, gekleidet in einen leichten Mantel, der vorne offen war
und ein silbernes Hosenkostüm durchschimmern ließ.
Noir wußte sofort, daß es sich um das Mädchen
handelte, das sie hier erwarteten. Er wußte es schon, noch
bevor er Professor Gerangers Erregung bemerkte. Denn das Mädchen
hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit Gerangers Frau
Aria. Der Altersunterschied zwischen den beiden Frauen mochte wohl
zwanzig Jahre betragen, aber die Ähnlichkeit war unverkennbar.
Das Mädchen blickte ängstlich zu Noir, das Tablett mit
dem Getränk zitterte in ihren schmalen Händen.
Noir machte die Tür hinter ihr zu.
»Du brauchst dich nicht zu fürchten, Ylina«,
sagte Geranger warm und nahm ihr das Tablett ab. »Dieser Mann
ist ein guter Freund von mir. Du kannst Vertrauen zu ihm haben. Er
möchte uns helfen, deine beiden Freunde zu finden.«
Das Mädchen sagte nichts, aber sie zuckte zusammen, als Noir
ihr aus dem Mantel half.
»Setz dich doch, Ylina«, forderte Geranger sie auf.
Sie ließ sich zaghaft auf einen alleinstehenden Sessel
nieder, der dem Fenster gegenüberstand.
»Soll ich verdunkeln?« fragte Noir.
»Ja, bitte.« Ihre Stimme war fast ein Flüstern.
Noir schaltete die Scheiben des breiten Fensters auf Polarisation.
Dann ließ er sich dem Mädchen gegenüber auf die
Sitzbank sinken, auf der Geranger bereits Platz genommen hatte.
Einige Sekunden lang herrschte ein betretenes Schweigen.
Geranger brach es schließlich.
»Du hast dich hier mit uns getroffen, weil du uns von den
beiden Brüdern erzählen wolltest, die du auf Halperoon
kennengelernt hast«, sagte er. »Erinnerst du dich noch?«
Das Mädchen nickte. Ihre Augen wanderten zu Noir.
»Von ihm war aber nicht die Rede. Warum haben Sie ihn
mitgebracht?«
»André Noir möchte uns behilflich sein.«
»Mir wollte noch nie jemand helfen«, stellte das
Mädchen bitter fest. »Alle waren sie Heuchler.«
»Ich kann dein Mißtrauen gegen die Menschen
verstehen«, sagte Geranger. »Aber du darfst nicht den
Fehler begehen, alle mit denselben Maßstäben zu messen.
Wenn du das tust, wirst du schließlich an dir selbst
zerbrechen.«
»Und Sie beide sind wohl die rühmlichen Ausnahmen,
denen man sich anvertrauen kann!«
»Wenn du willst, daß dir geholfen wird, mußt du
wohl von dieser Voraussetzung ausgehen.«
»Und wer garantiert mir, daß Sie beide nicht von
meinem Vater geschickt wurden? Woher soll ich wissen, daß das
nicht eine neue Art ist, mich zu quälen?«
»Es gibt keine Garantie dafür, daß wir es ehrlich
mit dir meinen. Du mußt selbst entscheiden, Ylina.«
Plötzlich gab das Mädchen ihre angespannte Haltung auf,
und ihr Körper fiel in sich zusammen. Es war eine Reaktion, die
Resignation und Entspannung zugleich ausdrückte. Die harten Züge
um ihren Mund
verschwanden, ihr Gesicht wurde weich, und Tränen liefen über
ihre Wangen.
»Es ist meine letzte Hoffnung«, schluchzte sie. »Wenn
das alles wieder nur eine Grausamkeit meines Vaters ist, dann - dann
möchte ich nicht mehr länger leben.«
Es schien, als wolle Geranger zu ihr gehen, um sie zu beruhigen.
Noir hatte das gleiche Bedürfnis, aber sie blieben beide auf
ihren Plätzen. Es war besser, wenn sich das Mädchen wieder
von selbst beruhigte.
Sie wischte sich die Tränen ab und warf den Kopf zurück.
»Wissen Sie denn überhaupt, wie Sie mir helfen können?«
fragte sie herausfordernd.
»Weißt du es denn?«
Sie sah Geranger verblüfft an, so als hätte er etwas
gesagt, an das sie überhaupt noch nicht gedacht hatte. Langsam
schüttelte sie den Kopf.
»Wir werden schon einen Weg finden«, beruhigte
Geranger sie. »Aber zuerst mußt du versuchen, deine
innere Abwehr zu besiegen. Du mußt selbst daran glauben, daß
wir dir nichts Böses wollen. Du mußt Vertrauen zu uns
haben.«
»Ich werde es versuchen.«
»Es wird dir gelingen«, sagte Geranger voll
Überzeugung. »Und dann erzähle uns alles über -
äh - die Zeit, die du mit den beiden Brüdern verbracht
hast.«
Und nun erfuhr André Noir den zweiten Teil der Geschichte.
Ylina erzählte natürlich die Geschehnisse von ihrer Warte
aus: wie sie die beiden Brüder im Rasthaus kennengelernt hatte,
die Flucht in Gallos' Geländewagen zu dem verborgenen Tal und
die unbeschwerten Tage, die sie zu viert verlebt hatten, bis zu dem
Augenblick, da ihr Vater aufgetaucht
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