PR TB 067 Der Endlose Alptraum
Verbitterung in seinen Worten mitschwang, das
erkannte wohl nur André Noir.
Er erstand für zehn Solar eine Eintrittskarte an der Kasse
und ließ sich mit dem dichten Menschenstrom durch den Eingang
treiben. Aber nur bis zur nächsten Tür, auf der ein Schild
mit der Aufschrift PRIVAT hing. Unbemerkt schlüpfte er hindurch
und kam in einen schmalen Gang mit vielen Türen. Die Luft war
abgestanden und roch nach Schweiß und Küchendunst. Außer
den Geräuschen, die aus dem Zuschauerraum kamen, hörte Noir
nichts. Plötzlich schrie jemand gellend, und einige Türen
wurden aufgerissen. Köpfe wurden herausgereckt und ein
unverständliches Stimmengewirr erhob sich -eine Prozession von
seltsamen Wesen ergoß sich auf den Korridor heraus. Es waren
Menschen, alles Wesen der Gattung Homo sapiens, aber sie entstammten
nicht der normalen Entwicklungslinie, sondern der Mutationskurve mit
ihren unzähligen Abarten.
Noir begegnete den haßerfüllten und feindseligen
Blicken mit Gelassenheit.
»Ich möchte zu Phillip«, sagte er.
Ein Schlangenmensch löste sich von den anderen, kroch über
den Boden auf Noir zu.
»Ich führe die Bande an, wenn Phil gerade nicht das
Kommando führt«, sagte der Schlangenmensch. »Auf ein
Wort von mir würden sie alle über dich herfallen, Mensch.«
»Ich möchte zu Phillip«, wiederholte Noir.
»Verschwinde. Phil hat jetzt keine Zeit. Wenn du bezahlt
hast, gehe in den Zuschauerraum zurück und genieße das
Programm. Es zahlt sich aus, ich werde heute eine besonders fette
Maus verschlingen. Ha, ha!«
»Und ich werde mir heute zum tausendsten Male die große
Zehe abhacken. Du kannst sehen, wie sie mir innerhalb von fünf
Minuten nachwächst.«
»Und ich.«
»Haltet den Mund«, unterbrach der Schlangenmensch den
Redeschwall der anderen. Er stieß sich mit den Bauchmuskeln ab
und schwang den Oberkörper vor Noir hin und her. »Was
willst du eigentlich von Phil? Hast du ihm etwas zu verkaufen? Wir
könnten eine Auffrischung gebrauchen.«
»Ja«, zirpte es aus dem Hintergrund. »Wenn du
uns zehn Prozent vom Reingewinn abgibst, lassen wir dich zu Phil
durch.«
»Das würden wir tun - obwohl Phil im Augenblick sehr
beschäftigt ist«, bestätigte der Schlangenmensch.
»Er ist beschäftigt?« fragte Noir.
»Natürlich. Immer wenn Ylina schreit, beschäftigt
er sich mit ihr.«
Der Schlangenmensch verstummte. Er wandte sich von Noir ab und
seinen Leidensgenossen zu.
»Weg da!« zischte er sie an. »Macht Platz für
den Menschen. Er darf passieren. Habt ihr nicht gehört? Ich
befehle euch, daß ihr den Mann passieren laßt!«
Die Mutanten, vollkommen überrascht von dem Gesinnungswechsel
ihres Wortführers, wichen erschrocken zurück und gaben die
Tür zu Phils Büro frei.
Noir kümmerte sich überhaupt nicht um sie, sondern
konzentrierte sich weiterhin auf den Schlangenmenschen; er deckte
dessen Gehirn weiterhin mit hypnotischen Impulsen ein und ließ
ihm seinen eigenen Willen erst, als er das Büro erreicht hatte.
Da der Schlangenmensch keine Ahnung von den Handlungen während
seiner Beeinflussung haben würde, mußte die Folge eine
allgemeine Verwirrung sein. Das wiederum bedeutete für Noir
einen Zeitgewinn, so daß er sich mit Phillip eingehender
beschäftigen konnte.
Im ersten Augenblick fand sich Noir in dem wüsten
Durcheinander, das in dem schlecht beleuchteten Büro herrschte,
überhaupt nicht zurecht. Erst nachdem er einen unterdrückten
Aufschrei hörte, konnte er sich orientieren.
Phillips Büro war eine wahre Folterkammer. Aber Noir bekam
nur einen flüchtigen Eindruck davon, denn er sah, daß
Ylina auf ein Brett geschnallt war, aus dem spitze Dornen
herauswuchsen. Sie wimmerte leise vor sich hin, als die metallenen
Spitzen ihre Haut berührten - ein Knebel im Mund hinderte sie am
Schreien. Vor ihr tänzelte ein langer, dünner Schatten auf
und ab.
Phillip!
Er war beinahe zwei Meter groß und so knochig und weiß,
wie man sich den Sensenmann vorstellte; er gab unverständliche
Laute von sich, die hohl und unmenschlich klangen, während er
mit der einen Hand schnalzte und mit der anderen an einer Kurbel
drehte.
»Sie kommen, sie kommen. Spürst du sie?«
Noir schaltete sich augenblicklich ein.
Phillip, der grausame Phillip, beging die seltsamste Handlung
seines Lebens. Er drehte die Kurbel auf einmal in die andere Richtung
- die Metalldornen verschwanden wieder im Brett -, befreite Ylina von
dem Knebel und löste ihre Fessel, dann sagte er: »Lauf,
Ylina, lauf!«
Ylina
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