PR TB 094 Die Zeitmauer
die Frage zu stellen versuche, woher Ihre Kenntnisse
stammen. Es ist doch unmöglich, daß
Sie in den wenigen Stunden, die wir in diesem Schiff zubringen,
alle seine Geheimnisse enträtseln. Ich halte mich selbst nicht
gerade für dumm, aber ich bin froh, wenigstens einige technische
Anfangsprobleme begriffen zu haben."
„Jedenfalls ist es so", sagte Shen selbstbewußt
und deutete auf die noch geschlossene Luftschleuse, vor der sie
während ihres Gespräches nun angelangt waren. „Dann
wollen wir mal..."
*
Rex ahnte natürlich nicht, daß Ellert in diesen
Sekunden zu ihm zurückkehrte, um wieder die Kontrolle zu
übernehmen. Er war eine viel zu starke Persönlichkeit, um
für lange Zeit allein gelassen zu werden. Bei Shen war das
anders. Ellerts Beeinflussung blieb erhalten.
Shen Ghol berichtete, und selten nur konnte auch Targot mit einer
spärlichen Erklärung etwas zum technischen Verständnis
beisteuern. Rex hatte immer schon gewußt, daß sein Freund
Shen ein Genie war, dem nur immer die Möglichkeiten gefehlt
hatten, es auch zu beweisen. Doch jetzt wurde er ihm direkt
unheimlich.
„Du phantasierst doch nicht?" vergewisserte er sich,
als Shen eine Pause machte und auf Zwischenfragen wartete. „Es
ist doch nicht möglich, daß du in der kurzen Zeit das
alles herausgefunden hast!"
„Eine Erklärung habe ich auch nicht dafür, Rex,
wirklich nicht. Aber ich weiß, daß ich das Kugelschiff
schon jetzt steuern könnte, wenn du es von mir verlangst.
Sicher, noch kenne ich nicht alle Funktionen und Aufgaben der vielen
Kontrollen in der Kommandozentrale, aber das scheint auch nicht
lebensnotwendig zu sein. Die Klimaanlage jedenfalls arbeitet
einwandfrei und bedarf sicherlich keiner Wartung, bis wir das Schiff
auf Spharo gelandet haben. Waffen scheint es auch an Bord zu geben,
aber die sind überflüssig; ich habe mich auch nicht um sie
gekümmert."
„Du bist also der Meinung, das Schiff nach Spharo bringen zu
können?"
„Ja, das bin ich. Morgen werde ich mich noch eingehender mit
der Kontrollzentrale befassen, um zumindest die lebenswichtigen Dinge
in den Griff zu bekommen. Aber meinen Berechnungen nach beschleunigt
das Schiff in weniger als einer Stunde auf Lineargeschwindigkeit und
legt dann in einer Etappe die Entfernung bis Helos in kürzester
Zeit zurück. Wir fliegen nach dem Frühstück hier los
und können auf Spharo dann zu Mittag essen."
Rex starrte Shen Ghol fassungslos an.
„Woher weißt du das alles nur?" wunderte er sich.
„Nicht nur die Funktionsweise des uns absolut unbekannten
Antriebes, sondern auch die Zeitberechnungen ...? Sag mal, erfindest
du alles nur, um uns zu imponieren?"
„Du kannst es ja ausprobieren", schlug Shen trocken
vor. „Ich werde dem Wissenschaftsrat mitteilen, daß ihr
in einigen Monaten nachkommt."
In dieser Sekunde hatte Ellert alle Mühe, das aufkeimende
Mißtrauen des Kommandanten vom Unterbewußtsein her
abzuwürgen. Auf keinen Fall durfte Rex auch nur ahnen, was Shen
Ghol plante. Wie aber konnte er das, wenn Shen es selbst noch nicht
wußte?
„Wenn schon, dann werden wir die PEREX hier zurücklassen
und gemeinsam mit dem Kugelraumer nach Spharo zurückkehren -
aber soweit ist es ja wohl noch nicht." Er sah hinaus zu dem
fremden, einsamen Schiff und hätte gern gewußt, was sich
dort vor vielen Jahrtausenden abgespielt hatte. „Glaubst du,
Shen, daß es irgendeinen
störenden Einfluß haben wird, wenn dort alles in der
schnelleren Zeitdimension verbleibt? Ich meine Antrieb, Meßgeräte
- eben das ganze Schiff..."
„Nein, Maschinen sind zeitlos. Wir können es nicht
bemerken, wenn sie tausendmal schneller altern als wir. Die Uhr läßt
sich ja abstellen, falls die rotierenden Zeiger uns stören
sollten. Ich sehe kein Problem in dieser Hinsicht."
„Gut, dann geht morgen noch einmal hinüber, damit uns
kein Fehler unterläuft. Übermorgen werden wir vielleicht
einen kleinen Probeflug machen. Aber, ehrlich gesagt, mir erscheint
das alles noch so unwahrscheinlich, daß ich einfach nicht daran
glauben will."
„Wenn wir unterwegs sind, wirst du es glauben", sagte
Shen ruhig.
*
Ellert wußte, daß die Entscheidung heute fiel.
Aus welchem Grund auch immer die Terraner vor siebzigtausend
Jahren ihr Schiff im Stich gelassen hatten, er hatte längst
festgestellt, daß alle lebenswichtigen Systeme noch einwandfrei
funktionierten, aber er brauchte Shens Hände, um sie zu steuern.
Es war für ihn absolut sicher, daß er mit dem Schiff die
Zeitmauer
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