PR TB 100 Der Kontinent Des Krieges
besinnungslos.
Flach ging seelenruhig zum Brunnen, füllte seinen Eisenhut mit
Wasser und schüttete ihn über dem Kopf des Scharfrichters
aus. Inzwischen packte Bertold einen Fuß und befestigte das
Seil daran, zog es leidlich straff an und warf es Glaser zu, der es
am Sattelhorn verknotete. Als die Menge sah, was wir vorhatten,
schrieen die Menschen auf, aber das Klicken der gespannten Hähne
und die schleifenden Geräusche, mit denen die Waffen aus den
Scheiden gezogen wurden, ließ die Menge furchtsam erstarren.
Ich beugte mich vor und fragte: „Ein Mann ritt mit dem Mädchen.
Wo ist er?“
Schwach und mit blauen Lippen fragte der Scharfrichter zurück:
„Der Spion?“
Sie halten den Kartenzeichner für einen Spion, suggerierte
der Extrasinn.
„Ja. Der Spion. Wo ist er? Drüben im Turm, oder habt
ihr ihn schon zu Tode geschunden?“
„Ein Trupp der Franzosen nahm ihn mit. Sie ritten dort hin
aus!“ sagte der Mann und deutete zitternd an der Kirche vorbei.
Seine Unterlippe geriet in unkontrollierbare Bewegungen.
„Wann?“
„Vor vier Tagen“, sagte er.
„Weißt du mehr über den Spion?“ fragte ich
leise und in ge fährlichem Tonfall.
„Nein. Sie werden ihn wohl erschießen oder köpfen!‘
‘ sagte der Scharfrichter.
„So.“
Ich überlegte. Der Mann und mit ihm das Geheimnis seines
Schiffes waren in Lebensgefahr. Für uns bedeutete dies ein neues
Ziel. Noch immer kreiste der Krähenschwarm über der
Landschaft. Das Sonnenlicht hatte seine Farbe geändert; jetzt
war gelb und golden, und überall stiegen die Nebel auf und
lösten sich auf, wenn sie den Schutz der Baumwipfel verließen.
Trotz des Gestanks setzte sich ein Hauch von Frühling durch. Ich
musste an den Müller denken, der jetzt auf seinen Äckern
arbeitete. „Los!“ sagte ich. „Wir reiten nach
Herbsthausen. Und wir holen vorher noch die anderen.“
Die Reiter ließen den Scharfrichter los, der sich auf den
Stufen wand. Wir gingen zurück zu den Pferden, und als Glaser
sein Tier rückwärts gehen ließ, straffte sich das
Seil. Der Mann rutschte über die Stufen, schrie jämmerlich
auf und bekam vielleicht zum erstenmal in seinem bald endenden Leben
einen Eindruck von den Schmerzen und Ängsten seiner Opfer. Dann
riss er die Arme hoch, und als ich mich in den Sattel schwang,
schnappte er nach Luft, bäumte sich abermals auf, mit dem Rücken
über Staub und Steine rutschend. Dann starb er.
Glaser band das Seil los und wickelte es in Schlingen auf. Ich
setzte die Sporen ein, nahm eine der winzigen Hitzebomben aus der
Brusttasche und entsicherte sie. Als ich an dem Turm vorbei. kam,
duckte ich mich im Sattel, parierte das Pferd durch und schleuderte
die Bombe durch ein vergittertes Kellerfenster. Als ich
zurückgaloppierte, erfolgte die Explosion. Eine Glutwelle
erreichte mich, dann schlugen meterhohe Flammen aus dem Keller des
Turms. Steine sprangen knallend auseinander, Fugenmörtel
bröckelte blasig zwischen den Quadern hervor. Eine Rauchsäule
erhob sich, und die Zugluft brach sich Bahn, als die Flammen die
Klappe auf der oberen Plattform zerstört hatten. Als ich meine
Reiter erreichte, die in gestrecktem Galopp aus der Siedlung ritten
brach der Turm mit ungeheurem Getöse auseinander. Einige Blocke
rollten über den Platz und verscheuchten die Bevölkerung.
,Wir müssen den Mann finden, wie?“ ‘ fragte mich
Heitzer, den ich gerade überholte, um mich hinter Hound an die
Spitze des Zuges zu setzen.
, Dringend!“ sagte ich ,und vielleicht weiß ich auch,
wo er sich befindet. Ich glaube fast, er wird geflohen sein.“
Ich schloss von meiner Reaktion auf die eines anderen Fremden.
Auch ich hätte gewisse Tricks angewendet, um freizukommen. Falls
sie ihn nicht gleich erschlagen hatten, waren seine Chancen
grundsätzlich groß.
Und wo waren die Verfolger?
,Nach Herbsthausen etwa?“ fr agte Glaser, der vor Heitzer
ritt.
„Vielleicht. Vielleicht auch nicht.“
Die Informationen des Falken, schrie mein Extrasinn, um meine
vielfältigen Überlegungen zu übertönen.
Ich galoppierte an die Spitze des Zuges, zügelte meinen
Falben und wartete, bis Dannhauser und Stadelberger neben mir waren,
Dann sagte ich: ,Wir teilen uns. Die Hälfte reitet zum Köhler
und bringt die anderen zurück, und wir warten am Kreuzweg auf
diese Gruppe. Dann reiten wir dorthin.“
Ich zeigte auf die Stelle, auf die der untere Teil des
Krähenschwarmes deutete. Entweder gab es dort ein riesiges
Leichenfeld, auf das die Vögel einfallen würden,
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