PR TB 104 Samurai Von Den Sternen
Bogen schräg über
meinen Kopf.
»Spanne ihn! Und dann. Atmung, Gedanken, innere Ordnung!
Nicht du läßt den Pfeil schwirren, sondern das Zen läßt
es geschehen. Es schießt!«
Die Stimme war unglaublich beruhigend.
Ich hielt den Bogen im unteren Drittel, legte einen Pfeil auf die
Sehne und hakte den Daumen mit dem Lederschutz um die Sehne. Mit
Zeige- und Mittelfinger hielt ich den Pfeil fest. Dann stellte ich
mich in Position; die linke Schulter wies zum Ziel. Dies war
mindestens der fünfhundertste Versuch. Quälende,
langwierige Übungen hatte ich absolviert und mein Ziel war, in
völliger Dunkelheit sein fünfundsiebzig Meter entferntes
Objekt genau zu treffen. Ich hielt es für unmöglich, es
spottete jeder Erfahrung.
Du triffst nur dann, wenn du glaubst! half mein Extrasinn dem
Zen-Lehrer.
Ich ließ meinen linken Arm bis in die Waagrechte gleiten,
gleichzeitig zog ich hoch über dem Kopf die Sehne aus. Beide
Bewegungen verliefen - das konnte ich inzwischen! - in vollkommener
Harmonie. Dann stand ich schießbereit da.
»Warte auf das Satori!«
Der Atemrhythmus war ebenso wichtig wie das völlige
Nicht-Denken. Ich stand da und wartete. Ich schloß die Augen.
Sekunden, Minuten glitten vorbei.
Ich würde, schoß ich in herkömmlicher Weise, schon
längst einen Muskelkrampf gehabt haben: nicht so hier, nicht bei
diesem Versuch. Es vergingen etwa zehn Minuten. Ich war halb
bewußtlos. Ich hielt die Augen geschlossen und lauschte in mich
hinein. Ich dachte nicht einmal ans Ziel. Alles war gleichgültig.
Ich wußte, daß ich irgendwann die Sehne lösen und
schießen würde und - treffen. Die Worte des Alten,
ständige Variationen und
Wiederholungen eines Themas, beruhigten meinen Verstand und
schufen die Voraussetzungen für das Satori, die plötzliche
Erleuchtung.
Dann, nach abermals einer Zeitlang, sagte Wakadoshiyori leise:
»Öffne die Augen und löse die Sehne.«
Ich öffnete die Augen. Mein Wille hatte sich gegen die
Leidenschaften verhärtet; Unwesentliches verschwand,
Wesentliches wurde undeutlich, das Ziel trat klar und deutlich
hervor.
Ich stellte den Daumen gerade und sah den fernen, bunten Krieger
an. Er war nur irgend etwas. Kein Ziel, unwichtig. Nur der schwarze
Knopf auf seiner Brust füllte meine Gedanken aus, während
die Bogensehne den langen Pfeil nach vorn riß und gegen den
Armschutz schmetterte. Ich sah nach vorn
- der Pfeil stak in der Mitte des schwarzen Knopfes.
Wakadoshiyori sagte in kritischem Tonfall:
»Gut. Vier Schüsse, eine Stunde. Ein Ergebnis, das für
Fürsten gut sein mag, nicht aber für tüchtige kuge.«
»Nun habe ich es mir in den Kopf gesetzt, Meister des Zen,
ein tüchtiger kuge zu werden«, sagte ich und atmete
mehrmals durch; es war ein Teil der Joga-Übungen, die mit dem
Zen einhergingen. Lebenskraft, Energie und Wille feierten im Zen, im
Idealfall, wahre Triumphe. Es wurde zu einer Schule des Stoizismus
für die Ritter dieses Landes. Vielleicht begriff ich so schnell,
weil die Schriften des Seneca, von den Maschinen perfekt, aber etwas
steril ins Arkon übersetzt, zu meiner Lieblingslektüre
zählten.
»Dann lerne weiter!« sagte er. »Eine Schale Tee,
eine Stunde Meditation -und wir fahren fort, wenn es dunkel ist.
Nicht mehr als fünf Schüsse heute; dein Geist hat sich dem
Satori noch nicht voll geöffnet.«
Erst dann, wenn ich so schnell und sicher schoß, wie ich es
auf die »europäische Art« gewohnt war, konnte ich
zufrieden sein. Und was die Treffer in völliger Dunkelheit
betraf. plötzlich weigerte ich mich nicht mehr länger, an
diese Möglichkeit zu glauben.
Eine Schale Tee wurde eingegossen, ich setzte mich auf das zweite
Kissen, und meditierend genossen wir den Tee und einen
Sonnenuntergang, der alles in unwirkliches Licht tauchte. In langen
Reihen standen Bögen und Pfeile an der Wand des Pavillons.
»Du bereitest dich auf einen Kampf vor?« fragte der
alte Lehrer irgendwann.
Ich schüttelte langsam den Kopf. Je länger ich mich in
diesem Land und unter solchen Umständen aufhielt, desto mehr
glichen sich Denken und Aussehen der herrschenden Norm an. Auch ich
trug mein schwarzgefärbtes Haar in der Art der Samurai
hochgesteckt.
»Nein. Ich werde versuchen, den Samurai mit Worten zu
besiegen. Das Schwert ist nur der letzte Ausweg.«
»Recht so«, sagte er. »Einem Ritter ziemt es,
sich des Verstandes zu bedienen.«
Langsam fiel die Nacht herein. Über dem Park sahen wir die
Sternarchipele inmitten des schwarzen Himmels. Hier in
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