PR TB 110 Formel Des Todes
geheimnisvolle Färbung an. Das Zischen, mit dem der
scharfe Bug des aus Palmbrettern gefertigten Langruderers das Wasser
durchschnitt, das schwere Atmen der zwanzig Ruderer, das Eintauchen
der Ruderblätter und die gurgelnden Wasserwirbel waren die
einzigen Geräusche.
„Wanderer - wir sind morgen Abend beim Stamm Jabbarem, bei
dem Schamanen Aparol!“ sagte der zweite der Ruderer.
Seit vier Tagen eilten sie in einem bewundernswert gleichmäßig
schnellen Tempo den Fluß hinunter.
„Und dann beginnt euer schwerer Rückweg!“ sagte
Maras Lombardi.
Er lag auf dem Bauch und hielt die Waffe in der Hand, wie schon
seit Tagen. Unter ihm befanden sich breite Bretter, die den Bugraum
des langen Kanus bildeten. Darauf lag eine dicke Matte, und Maras
hatte keine andere Aufgabe, als vor Hindernissen zu warnen und
Raubtiere abzuwehren. Gleichmäßig wie ein Uhrwerk hoben
und senkten sich die nassen Riemen, tauchten ein, schoben das Boot
vorwärts, dem Delta des Gira-Gira entgegen.
„Dein Weg mag nicht schwerer sein, aber er ist länger,
sagte Solvia!“ bemerkte ein anderer Ruderer.
Es war drückend heiß. Die nackten Oberkörper der
Ruderer glänzten vom Schweiß. Große Fische tauchten
auf und schnappten nach Luft. Vögel, die wie fliegende
Edelsteine aussahen, schwirrten durch die dunklen Höhlen des
Uferwaldes und tauchten ihre langen Schnäbel in die Blüten.
Langsam traten die Ufer zurück. Rechts vom Fluß gingen sie
in flaches Land über, das mit Wäldern und Seen durchsetzt
war. Wenigstens hatte Lombardi dies von den Luftaufnahmen her in
Erinnerung.
Links begannen bewaldete Berge, die schließlich in einen
Gebirgsgrat übergehen würden, der die Deltagegend gegen die
tief eingeschnittenen Buchten dieses Meeres abschirmte und eine
natürliche Wasserscheide bildete.
Zwei Stunden dauerte es, bis das Kanu aus der Dunkelheit der Gänge
hervorschoß und in die gleißende Hitze des frühen
Nachmittags glitt. Ein kühler Wind kam vom Meer her; sie alle
atmeten erleichtert auf.
Einer der Ruderer hob den Kopf und rief leise:
„Die Vögel! Was ist das?“
Er deutete kurz nach links. Dort, über einem breiten Hügel,
der von weißen Felszinnen überdacht wurde, schwebten Vogel
schwärme. Sie waren nicht weiter als einen Kilometer entfernt,
und Maras blinzelte, als er den Kopf drehte. Es waren verschiedene
Gattungen, die sich zu großen Schwärmen zusammengefunden
hatten. Jetzt erkannten sie auch die Quelle der Geräusche; sie
kam von den Tieren, die aufgeregt über den gelben, welkenden
Wäldern des Hügels flatterten. Man sah Fischadler ebenso
wie rote Riesenvögel, die wie Flamingos aussahen, kleine
schwarze Tiere bildeten verwirrende Muster, wenn die Schwärme
ihre Richtung änderten. Das Kreischen und Schreien wurde durch
die Entfernung zu einem hohen Summ ton.
„Sie sind unruhig!“ gab Maras zurück. „Vielleicht
Raubtiere?“ Ein anderer sagte:
„Es hat viel Regen gegeben, in den letzten Tagen. Vielleicht
hat das Wasser ihre Nester zerstört!“
Der breitschultrige Ruderer, der die Funktion des Steuermannes
hatte und ganz im Heck saß, schüttelte den Kopf. Sein
langes Haar flog hin und her. Er rief:
„Das alles sind keine guten Erklärungen! Sie haben
Angst, das ist es!“
Die anderen Männer nickten feierlich.
„Sie haben Angst, jawohl!“ sagten sie wie im Chor.
„Wovor?“ fragte Maras.
Das Kanu glitt über die spiegelnde Fläche des Sees
dahin, den der Fluß hier bildete; das Wasser zog eine weit
mäandernde Schleife und staute sich auf, bevor es sich in die
zahlreichen Arme des sumpfigen und sandigen Deltas preßte. „Das
weiß niemand!“
Die letzten Tage, dachte Maras, waren geradezu verblüffend
ungefährlich verlaufen. Aber schließlich befand er sich im
Schutz von zwanzig Männern, deren Lebensbereich der Uferwald und
der Fluß waren. Sie wichen den möglichen Gefahrenpunkten
aus, während er sich mitten durch sie hindurchbewegte. Jetzt
aber wurde er unruhig. Ständig den Tod erwartend, ständig
erschreckend... so hatte er den Weg bis zur ersten Siedlung
verbracht. Seine Sinne waren erregt, er sah sich um und versuchte,
eine Gefahr zu erkennen. Aber nur die Vogelschwärme blieben
sichtbar, ihr Lärmen schlug in die Ohren und wurde immer lauter,
je mehr sich das Kanu dem Hang näherte. Maras rief:
„Steuert mehr in die Mitte des Flusses! Haltet vom Ufer ab!“
„Warum, Wanderer?“ schrie der Steuermann von hinten.
„Ich glaube, aus dem Wald droht uns Gefahr!“ gab
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