PR TB 136 Die Sklaven Des Computer
gehen. Versäumte er dies
jedoch, so erteilte ihm PSIKOR einen Minus-Punkt nur dann, wenn er um
dreiundzwanzig Uhr noch immer nicht im Bett lag.
Schlafen allerdings konnte Ningmak nicht. Er lag im Dunkeln und
starrte zur unsichtbaren Decke hinauf. Gedanken wühlten in
seinem Bewußtsein. Er fühlte, daß er an einer
Schwelle stand. Schwellen finden sich an Türen, und Ningmak
fürchtete sich vor dem unbekannten Raum, in den diese Tür
führte. An dieser Furcht vermochte auch sein Verstand nichts zu
ändern, der ihm einzureden versuchte, daß es womöglich
ein Raum voller Freude und Freiheit sei, den er zu betreten sich
anschickte. Freiheit, welch ein merkwürdiges Wort. Ningmak hatte
es bislang so verstanden, wie das Buch der Regeln den Begriff
definierte: Freiheit ist das Recht, nach den Erfordernissen einer
anerkannten Notwendigkeit zu handeln. Aber es schien ihm, daß
sich hinter dem Wort Freiheit noch mehr verbergen müsse - ein
Spaziergang in der Nacht, ein Ausflug in die Berge, eine versäumte
Arbeitsstunde, die erst am nächsten Tag nachgeholt zu werden
brauchte. War das nicht wirklich, was Freiheit bedeutete?
Er lag da und sann. Er war sich wohl darüber im klaren, daß
seine Gedanken die Bezeichnung »ketzerisch« mehr als
alles verdienten, was er bislang in seinem Leben gedacht oder
geträumt hatte. Aber diese Erkenntnis schreckte ihn nicht. Im
Gegenteil, er begann, sie zu genießen. Es war ihm, als hätte
er eine Barriere durchbrochen und als erschlossen sich ihm nun neue,
wunderbare Gebiete, die ihm bisher verborgen geblieben waren, weil er
sich nur vom Buch der Regeln hatte leiten lassen. Euphorie wallte in
ihm auf. Er wollte weiterdenken, sich noch verbotenere Dinge
ausmalen.
Da summte der Kommunikationsempfänger.
Mißmutig, ein wenig erstaunt, erhob er sich und öffnete
die Verbindung. Der Bildschirm zeigte nur das Signal, daß ein
regulärer Duplex-Kontakt bestand. Kein Bild war zu sehen.
»Wer ist das?« fragte Ningmak.
»Mein Name tut nichts zur Sache«, antwortete die
Stimme einer Frau. Es war eine merkwürdige Stimme -
geheimnisvoll und lockend zugleich, voll von Versprechungen. »Ich
habe dir etwas mitzuteilen, Ningmak!«
»Was ist das?«
»Du bist ein Narr, wenn du meinst, ich würde es über
Radiokom ausplaudern«, antwortete die Frauenstimme. »PSIKOR
hört alle Kanäle ab, wußtest du das nicht? Und gerade
über PSIKOR wollte ich dir etwas sagen.«
»Über PSIKOR.?!«
»Ja, und darüber, warum er keine Macht mehr über
dich hat!« lockte die betörende Stimme.
»Und wie willst du es mir mitteilen?« erkundigte sich
Ningmak.
»Wir werden uns treffen«, lautete die verheißungsvolle
Antwort. »In einer Stunde.«
»Jetzt ist Ruhe-Periode!« protestierte Ningmak. »Ich
kann nicht von hier fort.«
Die Fremde lachte.
»Was willst du mir vormachen, Ningmak?« verspottete
sie ihn. »Daß du von deinen geheimen Kräften noch
nichts weißt? Geh einfach aus dem Haus, Ningmak! Genau in einer
Stunde warte ich auf dich an der Nordwestecke des
Analytiker-Turnparks achtzehn-elf.«
Das Kontaktzeichen auf dem Bildschirm erlosch. Die Verbindung war
unterbrochen. Ningmak zerbrach sich den Kopf darüber, was er von
diesem Anruf halten sollte. Die Frau wußte offensichtlich
davon, daß er Gebote übertreten konnte, ohne daß
PSIKOR ihn dafür bestrafte. Es gab niemand, der davon eine
Ahnung haben konnte - außer natürlich Angyluk. Aber
Angyluk war wohl der Mann, der eher daran glaubte, daß PSIKOR
aus einem ihm unbekannten Grund seinem Untergebenen ein Extraprivileg
eingeräumt hatte, als daran, daß irgendwo irgend
etwas schiefgegangen war. 1 Angyluk also kam nicht in
Frage. Blieb nur noch Kador, der Ungeborene. Er schien zu wissen, daß
Ningmak dem mächtigen PSIKOR nicht mehr bedingungslos zu
gehorchen brauchte. So wenigstens hatte er sich bei seinem
geheimnisvollen Besuch am vergangenen Abend ausgedrückt. Die
Frau - stand sie etwa mit Kador in Verbindung? War auch sie eine der
Ungeborenen? Es schien keine weitere Möglichkeit zu geben.
Ningmak ärgerte sich, daß er versäumt hatte, die
Unbekannte zu fragen, ob sie Kador kenne.
Er nahm sich vor, zu dem geheimnisvollen Stelldichein zu gehen.
Der Analytiker-Turnpark 1811 lag etwa eine halbe Gehstunde von seiner
Wohnung entfernt. Das war tagsüber. Jetzt, in der Nacht, würde
er noch ein paar zusätzliche Minuten rechnen müssen, falls
ihm doch einer über den Weg lief, der berechtigt war, sich
während der RuhePeriode außer Haus zu
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