PR TB 152 Der Stadtebauer
Schönheit.
Zunächst die Frauen. Sie schmückten sich mit den Ketten,
Bändern und Ringen, die unsere Werkstätten herstellten.
Dann "erfanden" sie Nadel und Faden und nähten aus den
Baumwollstoffen Kleider, Schleiergewänder, Röcke und
anderes. Sie machten dann die Erfahrung, daß die, Kleidung
litt, wenn die körperliche Sauberkeit vernachlässigt wurde.
Also benutzten sie den Fluß oder das,riesige Bad in der
Zitadelle. Wir hatten eine Pumpe konstruiert, die von einem Paar
Wasserbüffel in Betrieb gehalten wurde und das Wasser durch eine
Batterie mit Sand gefüllterTonringe filterte und mit frischem
Flußwasser ergänzte. Bald wurde das Bad mit den
Pflegeräumen eine Art gesellschaftliches Zentrum. Schließlich
entdeckten wir die Farbe als schmückendes Element. Viele aus
unserer Mannschaft experimentierten mit Rindenfarbstoffen, mit
zerstoßenen Wurzeln, mit bestimmten Gräsern, aus denen sie
Sud kochten. Bald gab, es einigermaßen wasserfeste Farben, die
an den Fasern, der Baumwollblüten hafteten.
"Es ist erstaunlich, Atlan", sagte Rajgir. Nur er und
einige wenige aus der damaligen Mannschaft befanden sich jetzt noch
in meiner Nähe. Wir standen auf einem der Dächer des Langen
Hauses - unseres Wohnsitzes in der Zitadelle - und sahen auf die
Stadt. "Binnen einem einzigen Mond hat sich die Stadt verändert.
Wohin dich das Auge führt, überall weiße, blaue,
grüne oder gelbe Gewände. Die Mädchen sind noch
anziehender geworden.
Rajgir hatte sich nicht gebunden. Er verschenkte seine Liebe und
seine Leidenschaft an viele.
„Ja. Die Männer werden folgen. Das Leben wird schöner
und die Gedanken sind freier geworden. Sie beschäftigen sich mit
neuen Dingen und gehen sozusagen auf Suche."
Er sah zu, wie Charsada mit einem Krug und einigen Bechern aufdas
Dach kam und in den Schatten des gelben Sonnensegels trat.
Dann sagte er plötzlich in völlig verändertem
Tonfall:
"Du weißt, was es bedeutet? Unsere Erziehungsarbeit ist
vorbei. Wir haben unsere Pflicht getan. Wir können gehen. Sie
werden ohne uns fertig."
Ich erschrak. Wiedereinmal hattejemand, der mir nurscheinbar
unterlegen war, die Wahrheit ausgesprochen, die ich vage gedacht und
gespürt, aber niemals formuliert hatte. Charsada griff die
Bedeutung auf und fügte hinzu: „Wir sind und bleiben
ohnejeden Zweifel Fremde in der Prächtigen Stadt."
Ich erstarrte und sah sie, an. Sie begegnete meinem Blick ruhig
und mit der Sicherheit eines Menschen, der genau weiß, daß
er recht hat. Erschüttert setzte ich mich und trank schweigend
einen Becher Kanshaubi.
„Ihr habt recht'', bekannte ich schließlich. "Wirwaren
Fremde, die hierher kamen, weil ein seltsamer Befehl sie aussandte.
Wir haben Großes getan in diesen Jahren."
„In vier Jahren!" bestätigte Rajgir. „In
fast vier vollen Jahren. Wir haben das Denken der Menschen verändert,
wir haben diesen kleinen Teil der Welt für eine große
Aufgabe vorbereitet. Sollen wir hier sitzen, uns langweilen und
zusehen, wie sie jeden Tag gescheiter werden? Wir sind nicht aus
diesem Holz geschnitzt. Wir sind Stahl, der aus Steinen Funken
schlägt und jedes Holz bricht!"
Stahl? flüsterte das Extrahirn.
"Wir können noch nicht gehen. Bald beginnt die
Regenzeit, und dies sollte ein guter Abschluß sein. Wir haben
alles gebaut, was wir für ein Jahrhundert brauchen, und..."
"Was sie für hundert Jahre brauchen werden!" meinte
Charsada deutlich und machte mit dem Arm eine umfassende Bewegung,
die Stadt, Fluß und Umland einschloß.
"Richtig!"
"Versuchen wir", schlug ich vor, obwohl die Argumente
der beiden Freunde vollkommen richtig waren, "die Schale, die
wir errichtet haben, noch mit Leben zu füllen."
"Mit Leben füllen die Leute von Moensho-tharro ihre
Stadt selbst. Wir sollten ihnen eine Idee für das nächste
Jahrhundert geben", fügte Rajgir hinzu.."Und, wen
irgend möglich, eine große Idee für ein Jahrtausend."
"Ihr verblüfft mich jeden Tag aufs neue", mußte
ich gestehen. "Ihr sprecht aus, was ich bisher nur undeutlich,
gedacht habe."
Charsada schien seitjener merkwürdigen und denkwürdigen
Nacht verändert. Sie wirkte auf rätselhafte Weise älter
und klüger, als sei vor ihrem
Verstand abermals ein Vorhang zerrissen. Wußte sie nichts,
oder wußte sie genau, daß ich derVatervon Shahis Kind
war? In einem halben Mond würde das Kind geboren werden. Wir
hatten niemals darüber gesprochen. Nicht mit Shahi, nicht mit
Charsada.
"Wirtragen auch nureinen Bruchteil derVerantwortung, die
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