PR TB 156 Der Löwe Von Akkad
Sharrukin schien zufrieden zu
sein. Jedenfalls lud er uns zum Gastmahl ein.
Rhai-ghur stützte sich schwer auf das steinerne Geländer.
Von der Terrasse unseres Palastes hatten wir einen ganz
befriedigenden Blick über die Stadt. Der Freund drehte sich halb
herum und blickte mir prüfend in die Augen.
„Du meinst, das ist ausgerechnet der Anführer der
Nomaden?"
„Ich sah ihn nicht direkt. Wir waren zu weit entfernt.
Und ich wollte nicht aus dem Wagen des Königs springen und
nachher zugeben, daß ich mich geirrt habe."
„Arbeiten sie noch dort?"
Ich sah nach dem Stand der Sonne. Vor einer halben Stunde hatte
mich der König entlassen. Ich hatte augenblicklich meinen Wagen
anschirren lassen - es war eine schnelle, leichte Sonderanfertigung,
von unseren besten Handwerkern ausgeführt.
„Ja. Er ist hier -falls er es ist! -, weil er mich nicht
erkennt oder wiedererkennt. Wenn er flüchtet, haben wir es
schwer."
„Sehen wir uns den Schwarzbart einmal genau an!" schlug
Rhai-ghur vor und griff nach seinen Waffen. Wir waren nicht nach der
herrschenden sumersich-akkadischen Mode gekleidet, was eine Reihe von
Vorteilen hatte. Rhai-ghur griff nach Peitsche und Zügeln, wir
schwangen uns in den Korb des Wagens, der aus Binsengeflecht und
Leder bestand. Die drei Halbesel waren an zwei lange Deichseln
geschirrt und galoppierten wild los. In einer langen Kurve rasten wir
hinunter in die Stadt, schleuderten auf der sandigen Fahrbahn der
Großen Brücke, die das leere Kanalbett überspannte.
Überall gossen Arbeiter heißes Erdpech zwischen Steine und
gebrannte Ziegel. Wir schossen über die Hauptstraße
hinweg, unter einigen eingerüsteten Torbögen hindurch und
in die Richtung, in der die Rampe lag.
„Dort drüben also? Er hat nur dich genau gesehen,
damals im Gewitter, nicht wahr?" rief Rhai-ghur und handhabte
die Zügel, als habe er sein Leben lang nichts anderes getan.
„Ja. Ob er mich heute noch wiedererkennt, ist fraglich!"
Ich brauchte die Löwin nicht. Noch nicht. Aber sie war eine
Gefahr, weil sie sich in falschen Händen befand. Deswegen
verfolgte ich den Mann, dessen Namen ich nicht einmal wußte.
Rhai-ghur fuhr mit dem breiten Gespann in den gemauerten Hohlweg
hinein, der mit Tragegerüsten abgestützt war. Menschen
sprangen zur Seite, Tragekörbe mit Erdreich, Lehm und
Ziegelbruch fielen um. Die Arbeitsgruppe befand sich im Innern der
Fundamentmauem, deren Zwischenräume wir gerade ausfüllten
und verdichteten. Mit schwer durchschlagender Achse zog der Wagen
einen Kreis und blieb am Rand eines großen, oben offenen
Kellerraums stehen. Wir sprangen aus dem Wagenkorb und sahen uns um.
Rhai-ghur warf die Zügel einem Arbeiter zu - es gab kaum einen
Menschen in Akkade, der uns nicht zumindest vom Sehen kannte.
„Wo ist unser Freund?" stieß Rhai-ghur hervor,
packte seine leichte, langschäftige Streitaxt und lief zurück
zur Einfahrt. Ich blickte von einem Gesicht zum anderen und suchte
schweigend den Anführer dieses Trupps. Ich entdeckte ihn oben
auf dem Gerüst.
„He! Lawera! Wo arbeitet der große, schwarzbärtige
Mann, der die Stäbe trägt?"
Der Verantwortliche dieses Bauabschnitts schrie zurück:
„Dort drüben, bei der oberen Aufschüttung!"
Ich winkte Rhai-ghur in die andere Richtung und lief, die
Streitaxt aus der Lederhülle am Rücken ziehend, nach
rechts.
„Dort entlang, Rhai!"
Wir liefen durch zwei lange, schmale Korridore, in denen bereits
die Stützsteine zukünftiger Türen eingemauert waren.
Am Ende der offenen Schluchten kletterten wir über feuchten,
nachrutschenden Sand nach oben. Jetzt standen wir auf den Oberkanten
der breiten Doppelmauem. Ich richtete meinen Blick auf das Gerüst;
der Bauführer deutete auf die Mitte der Anlage. Links von mir
sprang Rhai-ghur auf die Mauer, bemerkte die Geste und spurtete los.
Er lief immer in rechten Winkeln, über die Mauern balancierend.
Ich sah niemanden in der angegebenen Richtung, rannte aber ebenfalls
los. Dann entdeckte ich den Mann, der gerade aus einem Schacht nach
oben kletterte und drei Meßstäbe trug. Aufregung breitete
sich unter den übrigen Arbeitern aus. Sie kletterten auf Mauern
und Gerüste und versuchten neugierig zu erkennen, was es zu
sehen gab.
Der schwarzbärtige Mann drehte sich halb herum und sah uns
kommen. Dann wurde er unsicher. Wir kamen von zwei Seiten, aber in
einem verrückten Zickzack. Unsere Sohlen rutschten auf Sand und
Geröll zwischen den Mauern aus, dann befanden wir uns auf
gleicher Höhe - und
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