PR TB 159 Insel Der Ungeheuer
Zellen.
Ununterbrochen wechselten sich die Ärzteteams ab.
Komplexe Maschinen arbeiteten ununterbrochen, um Temperatur und
Zusammensetzung der Nährflüssigkeit konstant zu halten. Die
winzigste Lebensäußerung wurde kontrolliert und auf dem
Sollwert festgehalten.
Die sechste Nacht lag Atlan schon hier, und jede Prognose war
unsinnig. Die Wahrscheinlichkeit, durch einen postoperativen Schock
zu sterben oder weiterzuleben, war gleich groß.
Atlans Körper wurde von den Schwingungen des Zellaktivators
unterstützt. Einige der Mediziner waren sogar der Ansicht, daß
diese rätselhafte Maschine allein genügen würde, um
den Arkoniden überleben zu lassen. Jedenfalls konzentrierten
sich die Kenntnisse der besten Ärzte von Point Allegro und die
Fähigkeiten der medizinischen Hilfsgeräte auf dieses
Problem.
Die Nachtwache in diesem Teil der Überlebensanlage dauerte
hundertachtzig Minuten. Davon waren jetzt dreißig Minuten
vergangen.
Die Assistentin hatte nichts anderes zu tun, als die Instrumente
zu beobachten, die gegebenenfalls Veränderungen anzeigten.
Obwohl der Computer die Veränderungen viel schneller bemerkte
und entsprechende Abwehrmaßnahmen einleitete, blieb diese
zusätzliche Überwachung.
Atemfrequenz, Gehirnwellenaufzeichnung,
Herzschlag,
Zellschwingungen, alle jene meßbaren Äußerungen
des flackernden Lebens eines Organismus, der fast zwölf
Jahrtausende alt war.
Atlans Körper zeichnete sich auf rund zwei Dutzend
verschiedener Bildschirme ab. Die Linsen erfaßten jeden
Quadratzentimeter des zerschlagenen, von Wunden übersäten
und verbrannten Körpers.
Aber der Kopf war jetzt unsichtbar.
Die speziell geschaltete SERT-Haube stülpte sich über
das Gesicht. Atlan vermochte seinen tödlichen Schock nur zu
überwinden, indem er redete. Es war eine Befreiung, ein Akt
einer Erinnerungs-Katharsis, denn eine Unmenge von ehemals gesperrten
Erinnerungen ergoß sich als kaum jemals abreißender Strom
in die Mikrophone und Sensoren der SERT-Umsetzer.
Ein drittes Leben Atlans, sozusagen, wurde hörbar und
vorstellbar.
Seine Jugend im Einflußbereich der arkonidischen Heimat,
seine lange und bewußte Periode auf Terra und im All - und
jetzt sein bisher vollkommen unbekanntes Leben und Wirken als
Werkzeug von ES.
ES, jener unbegreifliche Freund der Terraner und der Menschheit,
eine Art gewaltiger kosmischer Geist, hatte Atlan benutzt. Rächer
und Jäger, Baumeister und Verfolger, Henker und Wächter von
Larsaf Drei, wie Atlan damals die Erde genannt hatte.
Bisher hatte ES diese Erinnerungen blockiert.
Nicht nur die Erinnerungen des Arkoniden, sondern diejenigen aller
anderen, die in dieses geheimnisvolle Leben verwickelt worden waren.
Atlans Erinnerungen waren unbestechlich; sein unglaublicher Verstand
reproduzierte jede winzige Einzelheit.
Jeder, der bisher zugehört hatte, wußte, daß auch
er Gefahr lief, seiner Erinnerung beraubt zu werden - Es war mächtig.
Abschriften dieser einmaligen Dokumente aus der frühen
Geschichte der Erde zirkulierten als computergeschriebene Manuskripte
auf Endlos-Folie, als Bänder und in anderen Informationsträgern.
Es würde ES nicht leichtfallen, diese Schilderungen allesamt zu
vernichten und Atlans Erinnerungen wieder in das Dunkel der
Vorgeschichte zurückzuwerfen.
Bewußt hatte Atlan auf Terra die ersten Cromagnon-Menschen
getroffen, als Werkzeug und Rächer von ES, in der langsam
versteppenden Zentralsahara. Dann hatte er das erste Ninive errichtet
und die Grundlagen der früheren sumerischen Kultur geschaffen,
viertausend Jahre vor der Zeitenwende. Fünfhundert Jahre später
befand er sich, seltsamen Raumfahrern auf der Spur, in Uruk zwischen
Euphrat und Tigris, und ES riß ihn erst wieder zweieinhalb
Jahrtausende vor der Zeitenwende aus dem Schlaf (nachdem er dem
ersten Pharao geholfen hatte, die Nilgaue zu vereinen), um eine
Kultur zu errichten, die einen ganzen Kontinent befruchten sollte:
Mohenjo-Daro und Harapaa am Indus-Fluß im Norden des indischen
Kontinents. 2 300 v.Chr. half Atlan dem großen Sharrukin, der
viel später zu »Sargon dem Ersten« wurde, die Stadt
Akkade und das Großreich Akkad zu gründen. Und jetzt,
nachdem Atlan und sein Freund aus der
Indus-Kultur rund hundertfünfzig Jahre geschlafen hatten,
fanden sie sich im dämonischen Spektakel der Insel Kreta wieder,
2 150 v. Chr. in den Jahren, in denen die ersten Fundamente des
sogenannten Palasts errichtet wurden, den einmal Sir Arthur Evans
ausgraben sollte.
Atlans Körper
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