PR TB 225 Eiswelt Cyrglar
hatte
das Tablett abgenommen und auf den Tisch gestellt. Der Robot wandte
sich um und rollte wieder auf die Tür zu. Die ganze Zeit über
stand der bewaffnete Posten, ein stämmig gebauter Mann
terranischer Herkunft, draußen im Korridor und beobachtete jede
Bewegung im Innern der Zelle mit mißtrauischem Blick. Dann trat
er, ganz gegen seine Gewohnheit, durch die Türöffnung.
Irgend etwas schien ihn stutzig gemacht zu
haben. Der Robot war inzwischen verschwunden. Der Posten sah sich
in der Zelle um. Das war der Augenblick, in dem Humbert zu überlegen
begann, ob er diese einmalige Chance nützen solle.
Der Posten torkelte. Es sah aus, als hätte er das
Gleichgewicht verloren. Humbert dachte an eine Falle: Gefangener
greift Wächter an, Wächter wehrt sich, Gefangener wird
erschossen. Der Posten streckte den rechten Arm aus, als suche er
einen Halt, und taumelte auf Humbert zu. Humberts Instinkt reagierte.
Was dann folgte, geschah so schnell, daß ungeschulte Augen die
einzelnen Bewegungen nicht mehr voneinander trennen konnten. Ein
Griff zur Hand des Postens, zwei wirbelnde Körper, ein dumpfer
Schlag, als der Posten rücklings auf den Boden prallte. Humbert
setzte nach. Ein Treffer mit der Handkante versenkte den Stämmigen
im Meer der Bewußtlosigkeit. Humbert nahm die Waffe an sich,
die der Hand des Ohnmächtigen entglitten war - einen Schocker
mit bauchigem Lauf.
Als er aufstand, bemerkte er Louisas anerkennenden Blick.
„Tsuki kotegaeshi“, sagte er mit bescheidenem Lächeln.
„Fast siebzehnhundert Jahre alt. Die Kotegaeshi-Technik wurde
noch von O Senzei selbst entwickelt.“
„Beeindruckend“, nickte Louisa. „Was jetzt?“
Humbert trat unter die offene Tür und spähte den
Korridor entlang. Sie befanden sich in einem der Nebengebäude
des Psiorama-Komplexes. Tagsüber hatten sie manchmal Geräusche
gehört, die darauf hinwiesen, daß Menschen in der Nähe
tätig waren. Während der Nacht dagegen war es stets ruhig
gewesen. Der rollende Robot war längst verschwunden. Die kleinen
Fenster in der rechten Wand des Korridors waren dunkel.
„Wir versuchend“, entschied Humbert.
„Es könnte eine Falle sein“, warnte Louisa.
„Ich habe daran gedacht“, bekannte Humbert. „Aber
ich könnte zeit meines Lebens nicht mehr ruhig schlafen, wenn
wir hier sitzen blieben und später herausfänden, daß
es keine Falle war.“
Sie schritten bis zum Ende des Korridors und duckten sich dabei
unter den Fenstern hindurch, damit sie von draußen nicht
gesehen werden konnten. Die Tür war unverriegelt. Als Humbert
sie aufschob, hätte sie ihm der Sturm um ein Haar aus der Hand
gerissen.
Die Heliostrahler zeichneten verwaschene Lichtkleckse in den
treibenden Schnee. Aus dem Halbdunkel der Gebäudeecke löste
sich eine zierliche Gestalt, bis zu den Augen herauf vermummt.
Humbert brachte den Schocker in Anschlag. Die Gestalt winkte
erschreckt ab.
„Kommt mit mir“, drang eine helle Mädchenstimme
unter der Vermummung hervor. „Freunde warten auf euch.“
„Du?“ fragte Louisa erstaunt. „Hast du den
Posten...“
„Das war Ekh“, fiel ihr das Mädchen ins Wort. „Er
hat den Posten verwirrt. Kommt mit!“
Sie führte sie um das Gebäude herum in Richtung der
Stadt. Der Wind pfiff von Norden her und drang mühelos durch die
dünne Kleidung der Terraner. Bis nach Weikesh würden sie es
auf keinen Fall schaffen. Humbert wollte das dem Mädchen
klarmachen, da verließ es den Weg und wandte sich nach links.
Sie stapften durch frisch aufgehäufte Schneewehen und gelangten
schließlich an eine Rampe, die steil in die Tiefe führte.
Die Unebenheiten zu beiden Seiten der Rampe hielt Humbert für
die Überreste eines alten Gebäudes.
Die Rampe führte in einen finsteren Kellerraum. Es war
genauso kalt hier unten wie oben; aber der Wind hatte seinen Biß
verloren. Im Hintergrund sah Humbert die Umrisse mehrerer Gestalten,
die in grauweiße Monturen gekleidet waren.
„Ich danke euch für die Hilfe“, sagte er. „Wer
von euch ist Ekh?“
Eine der Gestalten trat nach vorne. Humbert sah in ein zerfurchtes
Männergesicht mit intelligenten Augen.
„Ich bin Herkwart von der Sippe der Flachblattbauern“,
sagte der Mann in altertümlichem Terranisch. „Euer Freund
Langion hat uns geschickt, damit wir uns mit euch unterhalten.“
„Langion!“ rief Louisa. „Wo steckt er?“
„Er ist in unserem Wohnplatz“, antwortete Herkwart.
„Wir sind zusammen aus der Höhle der Fremden geflohen.“
„Langsam!“
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