PR TB 234 Tödliche Wahrscheinlichkeit
er trug eine rote lange Mütze.
Nicole schüttelte den Kopf, verzweifelt.
Auf seltsame, unerklärliche, aber höchst gefährliche
Art und Weise war den Marbaslahnis ein Kinderbuch in die Hände
gefallen, in dem es von Heinzelmännchen und Gartenzwergen
wimmelte.
Nicole sah die Bilder in dem Buch an, dann die Marbaslahnis.
Neben ihr schluckte Anatol Tsygoyan sehr laut.
»Zufälle gibt es.«, murmelte er fassungslos.
6.
»Keine Toten, bisher, aber einige Verletzte«, faßte
Cassia Huddle die Lage zusammen. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen,
ihre Stimme glich einem heiseren Krächzen. Sie war völlig
erschöpft.
Seit fast sechzig Stunden hatte sie nicht mehr geschlafen. Die
Katastrophe, die über Poshnam aus heiterem Himmel
hereingebrochen war, hatte Schlaf beim besten Willen nicht
zugelassen.
Peyger Mohlem stand neben ihr, auch seine Augen waren gerötet.
Poshnam war zu drei Vierteln zerstört, niedergebrannt,
eingestürzt, in die Luft geflogen. In den Ruinen glommen noch
die Reste der Brände, und am Rand der Stadt stand das große
Kaufhaus noch immer in Flammen, die sich von Stockwerk zu Stockwerk
weiterfraßen und immer noch Nahrung fanden. Eine Hundertschaft
tollkühner Frauen und Männer war noch immer damit
beschäftigt, aus der Flammenhölle alles zu bergen, was sich
nur retten ließ.
Eisiger Wind fegte über die Trümmerwüste und trug
die Nässeschauer in den letzten Winkel. Und auf den Straßen
faulten die Überreste des Insektenschwarms, der die ganze
Katastrophenlawine erst richtig ausgelöst hatte. Ein widerlicher
Gestank lag über dem, was von Poshnam noch stand.
»Die Notstromaggregate laufen«, erklärte Mohlem
matt. »Ich habe vor einer Stunde noch einmal kontrolliert - die
Energieversorgung ist für die nächsten Wochen notdürftig
gesichert.«
Daß es überhaupt noch Strom gab, war Cassia Huddle zu
verdanken, die wütenden Vorwürfen zum Trotz die
Energieerzeuger erst dann hatte einschalten lassen, als die
fürchterlichen Kleininsekten Poshnam verlassen hatten. Und auch
dann hatte sie noch gewartet, bis die letzten Tausendschaften dieser
Tiere aus den Notstromaggregaten herausgespült worden waren.
Dutzende kleinerer und größerer Aggregate der Stadt waren
durch Insektenkurzschlüsse hoffnungslos zerstört worden.
Mohlem nahm einen Schluck Tee, mehr um sich den trockenen Mund
auszuspülen als aus Durst. Er war zum Umfallen müde, aber
noch war in Poshnam für die Verantwortlichen nicht an Schlaf zu
denken.
Das Krankenhaus stand noch und hatte viel zu tun. Die Ärzte
waren weniger um die Verletzten besorgt - die meisten hatten
Prellungen davongetragen, und es gab nur wenige wirklich ernsthaft
Verletzte -, als vielmehr um die vielen Bürger, bei denen der
Ansturm der Insektenmilliarden einen nervlichen Schaden hervorgerufen
hatte. Arachnophober Schock lautete in etlichen Fällen die
Diagnose, und daran ließ sich einstweilen nicht viel ändern.
»Wir brauchen Hilfe«, sagte Cassia matt.
»Woher sollte die kommen?« fragte Jan Denter, der sich
insgeheim nicht wenig ärgerte. Dies war ein echter Knüller,
aber es war nicht möglich, davon zu berichten.
»Von der Erde oder von der USO«, antwortete Cassia.
»Es ist mir egal, wer uns hilft - wichtig ist nur, daß
geholfen wird.«
»Wir haben kein einziges intaktes Funkgerät mehr«,
sagte Mohlem knapp. »Ich habe mich selbst davon überzeugt.
Ich habe eine Frau getroffen, die sich mit der Materie auskennt. Sie
hofft, innerhalb einer Woche aus den Teilen der alten Geräte
einen neuen Sender zusammenbasteln zu können -aber keinen Tag
früher.«
»Noch einen solchen Tag überstehen wir nicht«,
sagte Cassia. »Die Bürger von Poshnam sind bewundernswert.
Es gibt keine Panik, es wird nicht geplündert, alle helfen sich
gegenseitig - aber eine zweite Katastrophennacht wird davon nichts
übriglassen.«
Die meteorologische Station glich einem Trümmerhaufen, der
leitende Wissenschaftler lag mit einem gebrochenen Bein im
Krankenhaus - Poshnam war einem neuerlichen Katastrophenwirbel nicht
nur schutzlos ausgeliefert, es würde diesmal auch praktisch
keine Vorwarnung geben.
»Um diese Zeit des Jahres.«, begann Cassia, dann
unterbrach sie sich. »Erwarten wir nicht Besuch?«
»Der Vertreter der Administration«, rief Mohlem aus.
»Gleichgültig, wer es ist - er wird mit einem Raumschiff
kommen. Und an Bord gibt es Funkgeräte. Cassia, das war der
rettende Einfall.«
Cassia lächelte müde.
»Ein Trauerspiel werden wir zum Empfang bieten
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