PR TB 242 Herr Der Hundert Schlachten
band ein Joch an die
Deichsel. Niemand hatte je diesen Knoten öffnen können; man
sagte uns, daß es schon sehr viele kluge und mächtige
Besucher versucht hatten. Alexanders Wahrsager Aristander, sagten uns
makedonische Krieger, wollte, daß auch Alexander diesen Knoten
zu öffnen versuchte. Bis heute hatte Alexander den Tempel nicht
betreten.
Jeden Tag kamen jetzt Truppenteile. Das Heer der Makedonen wuchs
an, und rund viertausend Männer schlugen zusätzlich ihre
Zelte auf. Alexander mit kleinem Gefolge begrüßte die
Männer, die alle den Eindruck auf mich machten, als ob sie sich
auf die kommenden Kämpfe freuten. Sie waren siegesgewiß.
Charis und ich, begleitet von Chord und Athyra, kamen aus der
Umgebung Gordions zurück. Wir hatten persischen und griechischen
Handwerkern und den Baumeistern der Makedonen einige Ratschläge
gegeben, die von ihnen begeistert aufgenommen wurden.
»Dort kommt der oberste Makedone«, bemerkte Chord und
deutete auf eine Staubwolke vor den Stadtmauern.
»Sicher nicht unsretwegen«, gab ich zurück. »Dort
hinten nähern sich Verstärkungen für Parmenion.«
Die Stadt und das weite Umland war zu einem Heerlager geworden.
Die Spione und die Händlerkarawanen auf der Königsstraße
hatten berichtet, daß Darius ebenfalls sein Heer zusammenfaßte
und wohl nach Norden ziehen würde, den Makedonen entgegen.
Wir ritten zur Seite und warteten. Staub klebte am Fell unserer
Pferde. Auf den Feldern arbeiteten die Bauern und ihre Sklaven. Ein
Stadion, also hundertneunzig große Schritte, trennten uns noch
von der Gruppe um Alexander. Bisher hatten wir ihn nur auf den
getarnten Bildschirmen gesehen. Er löste sich aus dem Keil
seiner Begleiter und ritt in hartem Galopp auf uns zu. Dicht vor uns
parierte er seinen Rappen Bukephalos, ein herrliches, großes
Tier.
Alexander hob die Hand und grüßte mich. Ich blickte in
große, braune Augen. Der Logiksektor wisperte:
Du bist ihm offensichtlich aufgefallen. Mache das Beste daraus!
Alexander war bartlos; er rasierte sich regelmäßig. Er
hielt den Kopf leicht schräg und musterte uns mit aufmerksamen,
prüfenden Blicken. Ganz eindeutig war für uns zu erkennen,
daß sich hinter den Augen ein exzellenter Verstand verbarg. Er
schwieg einige Atemzüge lang, dann fragte er:
»Du mußt jener Toxarchos sein. Atalantos?«
»So ist es, Alexander«, sagte ich. »Ein
Reisender, der die Welt kennt.«
»Was bringt dich nach Gordion? Kommst du von Darius?«
Ich lachte kurz auf. Für diesen Teil unserer Abenteuer hatte
ich mein Haar dunkelbraun gefärbt und meine Augen durch eine
Injektion dunkelgrau werden lassen. Ich schüttelte den Kopf und
erwiderte:
»Nein. Ich kenne seinen Namen und seine Bedeutung. Wir
kommen aus dem Nilland. Charis, meine Gefährtin, und unsere
Begleiter sammeln und schreiben auf, was wir an neuen Erfindungen
überall in den Städten finden.«
»Nun, in Gordion wirst du vergebens etwas suchen«,
sagte er. Alexander war nicht sonderlich groß oder kräftig.
Eine eher durchschnittliche Figur, wohlproportioniert und muskulös,
ein sehr gutaussehender junger Mann von dreiundzwanzig Jahren, der
mir bis zum Kinn reichte. Sein dunkelbraunes Haar wies einige helle
Strähnen auf und war reich gelockt - jemand, der ihn als
löwenköpfig bezeichnete, sprach keinen Irrtum aus. Er hatte
tatsächlich etwas von einem Raubtier, das sich seiner Kraft
bewußt war.
»Immerhin gibt es einen unlösbaren Knoten«, sagte
ich lächelnd. Er betrachtete mich ebenso prüfend und
intensiv wie ich ihn. Die Pferde bewegten sich unruhig.
»Nichts ist unlösbar«, sagte er. »Willst du
in meine Dienste treten? Für mich kämpfen?«
»Wir kämpfen nur, wenn wir angegriffen werden«,
sagte ich. »Aber vielleicht kann unser Wissen über
Straßen, Pässe und fremde Landstriche dir etwas nützen.«
»Du kennst das Land, das weiter südlich liegt? Du
weißt, daß ich eigene
Späher und Landvermesser habe?«
»Beides weiß und kenne ich. Ich und wir alle«,
sagte ich und deutete auf die beiden Reiter hinter mir. Alexanders
Haut war dunkel gebräunt und mit Salben oder Ölen gepflegt,
die fremdartig rochen.
»Wann reitet ihr weiter? Und wohin?« fragte er
nachdenklich. Verglichen mit seinen Offizieren und den Kriegern war
er von einer gewinnenden, bestimmten Höflichkeit. Die Wirkung
Alexanders auf seine Umwelt ging tatsächlich von ihm selbst aus.
Sein Selbstbewußtsein kam sicherlich aus anderen Quellen, war
aber nicht geringer als meines.
»Das haben
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