PR TB 243 Der Weg Der Tigerbande
Mund schob, sie mit geschlossenen Augen gründlich
durchkaute und danach entweder in ein Papiertaschentuch spie oder
hinunterschluckte, sprachen die Naghnaren und Menschen dem „Bier"
zu und tauschten Informationen aus.
Zum erstenmal erfuhren sie die Dinge, die ihnen bisher
verschlossen gewesen waren.
Die Naghnaren waren ein altes, traditionsbewußtes Volk,
dessen Geschichte seit umgerechnet rund drei-hunderttausend Jahren
Erdzeit aufgezeichnet wurde. Ihr Sonnensystem hatte sich außerhalb
der Galaxis Sheshtar befunden, solange sie zurückdenken konnten.
In grauer Vorzeit, als ihre Ahnen noch nichts von den Sternen ahnten,
hatten sie für Sheshtar den Namen Rad geprägt, und da ihr
Stolz schon immer sehr ausgeprägt gewesen war, hatten sie dieses
Rad unter sich gesehen, obwohl es doch über ihnen am Nachthimmel
stand - und noch bevor sie wußten, daß es sich um eine
Galaxis handelte, hatten sie sich in ihren Religionen als künftige
Herrscher über alle anderen Völker dargestellt, deren
Wohnsitze sie auf dem Rad vermuteten. In ihren Religionen gab es
keinen allmächtigen Gott, sondern eine Göttin. Sie hieß
Nidrashara, die Ewig-Gebärende. Alle tausend Jahre (umgerechnet
waren es genau 1003) gebar sie einen Ruan und schickte ihn aus, damit
er nachsah, ob die Naghnaren schon bereit waren, ihrem Auftrag
nachzukommen, die Obhut über das Rad zu übernehmen, damit
sie weiterziehen konnte, um ein neues Rad zu erschaffen.
Natürlich war diese Aussage immer wieder abgeändert
worden, je weiter die Naghnaren in ihrer Evolution gekommen waren und
je stärker sie in wissenschaftlichen Bahnen dachten. Heute
stellten sie sich die den Kosmos beherrschende Macht nicht mehr
körperlich vor, sondern als die BESTIMMUNG, die alles erfüllte
und dennoch unsichtbar blieb. Ihre Hüterin war die Shushsh, eine
jenseits des vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuums lebende
Wesenheit, von der sie eine recht unklare Vorstellung hatten. Sie
glaubten jedoch weiterhin daran, daß eines Tages ein Ruan zu
ihnen kommen würde - nicht als Sohn einer Göttin, sondern
als materielle Projektion der BESTIMMUNG, als ein Botschafter oder
Beauftragter. Er würde an der zwingenden Ausdruckskraft seiner
gelb leuchtenden Augen zu erkennen sein.
Das war der Grund weshalb Kitsaiman zuerst von Teh Koom Shar und
danach auch von allen anderen anwesenden Naghnaren als Herr anerkannt
worden war -freilich mit der für den Stolz dieser Wesen
bezeichnenden Einschränkung, daß sie seine Anordnungen nur
dann befolgten, wenn sie ihnen von ihrem Shar übermittelt
wurden, sozusagen im Sinn ihrer Weltanschauung und ihres Vorteils
gefiltert und interpretiert. Bei Siska begann sich der leise Verdacht
zu regen, daß Kitsaiman für sie weniger der Shar des Shar
war, sondern mehr eine Symbolfigur, die sie vorzeigen konnten, um
sich als Auserwählte der BESTIMMUNG hinzustellen.
Das, was er über ihre Geschichte erfuhr, schien diesen
Verdacht zu bestätigen. Die Naghnaren waren schon in
frühgeschichtlicher Zeit zu einem Volk verschmolzen, weil das
ihnen zweckmäßig erschienen war, um ihre von allen ihren
Religionen gepredigte Herrschaft über das Rad zu verwirklichen.
Mit unterschiedlichsten und anfangs völlig unzulänglichen
Mitteln hatten sie sehr früh versucht, Naghnar, ihre Heimatwelt
und den dritten Planeten der weißgelben Sonne Ruan-Urh, was
soviel wie „Auge des Sohnes und Herrschers" hieß, zu
verlassen, um auf dem Rad zu landen. Sie umschrieben die ersten
Fehlversuche schamhaft, doch Siska hörte aus ihren Andeutungen
heraus, daß sie wahrscheinlich darin bestanden hatten, mit
immer größeren Schleudern Felsbrocken, an die Stricke oder
Strickleitern gebunden waren, auf das Rad „hinab" zu
schleudern.
Ihre intensiven Bemühungen und die gemeinsame Ausrichtung auf
dieses Ziel ließen jedoch sehr bald die Wissenschaften
entstehen. Innerhalb weniger Jahrzehnte entwickelten sie ihre Theorie
über Raketenantriebe, kamen sie auf immer mehr verfeinerte
Metallbearbeitungstechniken und stellten alle mögliche Arten von
Treibstoffen her.
Ihre ersten Mehrstufenraketen starteten erfolgreich, bevor sie
erkannt hatten, was das Rad wirklich war und welche riesige
Entfernung zwischen ihrer Welt und ihm lag. Die
Raumschiffsbesatzungen nahmen lediglich Proviant und Wasser für
fünf Tage mit, aber weder Raumanzüge noch Sauerstoff.
Natürlich hörte man nie wieder etwas von ihnen. Man schloß
daraus, daß sie auf dem Rad von Feinden getötet worden
waren, und erst das
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