PR2604-Die Stunde der Auguren
worden, die Flughöhe auf 500 Meter über Grund zu drosseln.
Der Gleiter flog sanft und geräuschlos; die Kabine roch merkwürdigerweise nach nassem Holz und Zitrone; das Angebot des Bordbistros war beschränkt. In den ersten zwei Stunden des Flugs versuchte Routh, Nachrichtenprogramme durchzusehen: Aber die Nachrichtenlage war deprimierend. Terra Network Trivid, First Terrestrien Networks, SIN-TC, der Info-Orbit, Luna City Comm, Terra Wahr & Wesentlich – niemand hatte verlässliche Informationen. Nicht einmal 24-7-365 – umgangssprachlich auch »Rundum-Trivid« genannt – oder der Infotainmentsender Albion3D. Wenn Routh sich nicht täuschte, lag das nicht daran, dass die Regierung mauerte. Es wäre ihm wesentlich wohler gewesen, hätte sie gemauert, wenn er das Gefühl hätte haben dürfen, dass Bull und die anderen wesentliche Informationen zurückhielten. Denn nun musste er annehmen, dass sie selbst über keine verlässlichen Informationen verfügten.
Er warf einen kurzen Blick in das Programm von Augenklar. Sogar den Kollegen des informationsanarchischen Senders war jeder Spaß vergangen.
Er überlegte, ob er Puc aktivieren sollte, unterließ es aber. Anicee hielt ihn für Puc-süchtig. Er schüttelte lächelnd den Kopf.
Zwischen dem Aral-See und dem Kaspischen Meer waren sämtliche externen Steuerkontrollmodule der Verkehrsüberwachung ausgefallen, was Routh dazu zwang, sich in die Steuerung einzumischen.
Während er über die Krim dahinglitt, hoch über Simferopol mit seiner Gläsernen Moschee und dem Positronischen Tempel der Thauth-Götter, konnte er beobachten, wie ein kompletter Trümmerschwarm ins Schwarze Meer einschlug. Es musste der Abwehr eben noch gelungen sein, einen größeren Meteoriten in Bruchstücke zu zerlegen und so weitgehend unschädlich zu halten.
Routh war noch nie in Europa gewesen. Es hatte sich bisher nicht ergeben. Er hatte einige Zeit auf der Venus verbracht, einen Urlaub unter den 200 Kunstsonnen des Mars, und er war – kurz nachdem Anicee ihr Studium aufgenommen hatte – mit ihr in Galileo City gewesen, der Stadt, die den Absturz Ganymeds in den Jupiter überlebt hatte und seitdem darauf wartete, auf Neo-Ganymed eine neue Heimat zu finden.
Natürlich kannte er auch ihre Hochschule, die Beer & Mädler-Universität von Luna City, an der sie Planetare Architektur studierte. Sie wollte Planetenarchitektin werden, später beim Sykonpha arbeiten, das aus dem Syndikat der Kristallfischer hervorgegangen war und sich der Rekonstruktion des verlorenen Jupiter-Mondes widmete.
Europa war wie das ruhige Hinterland Terras: viele Wälder, viele alte Städte, deren Kerne noch aus der Zeit des Wiederaufbaus nach der Dolan-Katastrophe stammten, ja, sogar noch weiter zurück in die Vergangenheit reichten.
Die Erde war im Zuge der Hetos-Krise und ihres Exils im Mahlstrom der Sterne restlos entvölkert worden; als die Terraner sie von Gäa aus neu besiedelt hatten, war es mitunter zu wahren Nostalgieorgien gekommen: Millionen von Terranern hatten auf der Erde die Heimat ihrer Ahnen gesucht und gefunden – vermeintlich jedenfalls. Und auch nach den Dunklen Jahrhunderten der Monos-Zeit erlebten die Terra-Nostalgiker wiederholt bemerkenswerte Wellen des Aufschwungs.
Hamburg wies nur einen kleinen Handels- mit einem angeschlossenen Zivilraumhafen auf. Dort landete Routh den Gleiter um 16.49 Uhr Terrania Standard, also 10.49 Uhr Ortszeit.
Als er ausstieg, schlug ihm infernalische Hitze entgegen. Instinktiv sah er sich nach Schatten um. Der einzige Schattenspender war der Tower des Raumhafens, eine vielleicht 150 Meter hohe Spindel, an der sich stilisierte Segel in einer künstlichen Brise blähten. Der Schatten, den der Tower warf, teilte wie ein schwarzer Schwerthieb die Landefläche.
Der Himmel loderte in einem grellen Rot. Dabei war die Sonne nicht zu sehen.
Als er die Legitimationsfolien für den Gleiter endlich der Filiale von TransTerra übergab, war er durchgeschwitzt. Der Servo an der Rezeption vermittelte ihm ein kleines autonomes Prallfeldtaxi, das ihn nach Eimsbüttel brachte.
Sie glitten an einem rauchenden Ruinenfeld vorbei, das einmal eine Wohnanlagenzeile gewesen sein musste. Verwirrt anmutende Menschen auf den Gehsteigen; an einer Kreuzung entdeckte Routh eine Reihe von fünf oder sechs Leichen, die ordentlich aufgereiht auf der Straße unter einer Kühlfolie lagen. Ein Roboter stand reglos neben den Toten, Routh konnte nicht erkennen, mit welchem Auftrag.
Manche
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