Prador-Mond: SF-Thriller (German Edition)
Tomalon fünfzehn verschiedene Meldungen und nahm die Fakten in Augenschein, sobald die KI sie gesichtet hatte. Es waren hundertdreiundvierzig Überlebende. Zwölf würden sterben, wenn sie nicht innerhalb einer Stunde Hilfe erhielten, und weitere sechsundfünfzig Personen konnten sich nicht mehr aus eigener Kraft fortbewegen und hielten womöglich noch einen Tag durch. Alle verfügten entweder über einen ausreichenden Vorrat an Atemluft oder hielten mit Hilfe der Filter ihrer Umweltanzüge und von Luftreinigern durch. Eine der fünfzehn Gruppen brauchte Hilfe, weil sie sich in einer hochgradig radioaktiv verseuchten Umgebung befand. Falls sie nicht innerhalb von drei Stunden dort herausgeholt wurde, würde die Strahlungsdosis sie umbringen, selbst wenn man sie später noch retten konnte.
»Es sind nicht nur die auf dem Planeten«, stellte Occam fest.
Meldungen gingen jetzt von Schiffen ein, die im ganzen Sonnensystem verstreut waren: Personen, die hinter Schotten festsaßen, ausgebrannte Triebwerke, leckende Schiffsatmosphären, undichte Reaktoren ... aber nicht viele Verwundete, die medizinische Hilfe benötigt hätten, denn der Weltraum war eine unerbittliche Umgebung.
Über Occam sah sich Tomalon in den Laderäumen der Occam Razor um. Er erblickte eine riesige Halle voller Shuttles, die sich wie eine Reihe aufrechter Soldaten an einer Wand entlangzogen, glänzend und geölt. Er erblickte Gestelle mit Landungsfahrzeugen und Förderanlagen, die sie zu ihren Hangars tragen konnten.
»Nur wir beide sind an Bord, sodass wir das alles gar nicht brauchen. Sie enthalten außerdem medizinische Ausrüstung und Vorräte.«
»Weitere ECS-Schiffe sind sicherlich hierher unterwegs, aber der Plan würde in einer Hinsicht scheitern: Wir müssten hierbleiben und diese Beiboote zu ihren Zielorten im ganzen System und auf dem Planeten lenken. In fast jedem Fall wären die Boote mit Schwierigkeiten konfrontiert, denen ihre Programmierung möglicherweise nicht gewachsen ist: Wracks, automatische Abwehreinrichtungen, die noch online sind, Stürme und elektromagnetische Störungen.«
»Wir können diese armen Schweine nicht einfach im Stich lassen!«
»Das tun wir auch nicht - die Lösung des Problems kommt näher.«
Fernsensoren hatten den ECS-Zerstörer entdeckt, der hinter einem Asteroidenfeld hervorkam. Sein Fusionsantrieb brannte schmutzig, aber er kam voran.
»Wer ist da?«, fragte Occam über Subraumkom.
»Aureus«, antwortete die KI an Bord des Zerstörers.
»Deine Besatzung?«
»Alle tot.«
Über die Außenbordkameras verfolgte Tomalon, wie die Irisblenden von Frachttoren im Rumpf der Razor aufgingen und einen Strom von Shuttles und Landungsbooten ausspuckten. Innerhalb des Schiffs glitten die Shuttles durch den Hangar wie Kugeln in einem Ladestreifen, und die Landungsboote wurden durch Hilfsmechanismen bewegt - die gesamte Maschinenwelt im Innern der Occam Razor lief in eleganter titanenhafter Bewegung.
»Ich habe Aureus die Steuerungscodes für alle diese Fahrzeuge geschickt«, erklärte Occam. »Sobald alle gestartet sind, müssen wir aufbrechen.«
Tomalon pflichtete ihm bei - die menschliche Komponente drückte den abschließenden Schalter, der es der KI ermöglichte, alle geplanten Maßnahmen zu ergreifen. Als die Occam Razor schließlich von Grants Planet abschwenkte, sichtete ihr Kapitän die letzten geschätzten Verlustzahlen. Anderthalb Millionen Menschen und KIs waren hier umgekommen. Tomalon hatte die Hände zu Fäusten geballt, als er die Waffenmanifeste des großen Schiffs durchging.
Kapitel 6
Wie bezaubernd doch dein Gesang ...
Vagules Säumigkeit, auf den Herbeiruf zu reagieren, wäre beispielsweise bei einem Menschen nicht überraschend gekommen, aber als ein Prador-Erstkind hätte er sofort gehorchen müssen - denn die Pheromonherrschaft Immanenz' über ihn duldete keine Verzögerung. Über eine zusätzliche Steuerungseinheit, die der Kapitän kürzlich mit dem eigenen Nervensystem verbunden und an der Panzerschale verschweißt hatte - wobei er inzwischen das Risiko einging, seine Chouds zu umgehen -, verband er sich mit den Schiffssystemen und spürte das fehlgeleitete Kind auf. Vagule experimentierte gerade erneut mit den vier letzten Menschen, die ihm zugebilligt worden waren, und arbeitete frenetisch daran, die Gründe für ihr Sterben zu ermitteln. Einer der Menschen blieb bislang am Leben. Immanenz vermutete, dass hier der Grund lag, warum das Erstkind den Herbeiruf mental umgehen
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