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Pralinen im Bett: Schuhdiebe, Mutterliebe, Seitenhiebe und weitere Tücken des Alltags (German Edition)

Pralinen im Bett: Schuhdiebe, Mutterliebe, Seitenhiebe und weitere Tücken des Alltags (German Edition)

Titel: Pralinen im Bett: Schuhdiebe, Mutterliebe, Seitenhiebe und weitere Tücken des Alltags (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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Fähigkeiten trainiert werden sollen. 60 000 Kinder und junge Mütter leben in Addis Abeba permanent auf der Straße, jedem x-Beliebigen auf Gnade und Barmherzigkeit ausgeliefert, auch der Polizei. Das Projekt hat zum Ziel, sie in allen möglichen Disziplinen auszubilden – vom Autofahren über Metallverarbeitung bis zu Bürotätigkeiten – und sie so jobfähig zu machen.
    Mir wird ein zwanzigjähriges Mädchen vorgestellt, das das Programm durchlaufen hat. Sie sieht aus wie Lauryn Hill – wunderschön  – und bittet mich, ihren Namen nicht zu nennen. Ihre Eltern sind gestorben, als sie sechzehn war, und sie musste für ihre drei Schwestern und zwei Brüder sorgen, indem sie Wäsche wusch und Feuerholz verkaufte. Ihr Einkommen war so gering, dass der nächste Schritt die Prostitution gewesen wäre, entweder für sie selbst oder ihre jüngeren Schwestern. Aber stattdessen schaffte sie es, einen Platz in dem Trainingskurs zu ergattern. Jetzt verdient sie als Köchin 340 Birr im Monat (gutes Geld, ehrlich), kann für sich und ihre Geschwister die Miete für ein Haus zahlen und finanziert selbst ihren Computerkurs.
    Als ich sie frage, woran ihre Eltern gestorben sind, senkt sie den Kopf, beginnt zu weinen und will nicht antworten. Später erklärt mir der Direktor des Programms, sie habe es nie ausdrücklich gesagt, er nehme aber an, dass sie an Aids gestorben sind. Obwohl mindestens einer von zehn und vielleicht sogar einer von sechs erwachsenen Äthiopiern mit HIV infiziert ist, ist die Stigmatisierung so groß, dass kaum einer es zugibt, davon betroffen zu sein.
    Zu den Erfolgsgeschichten des Projekts gehört auch, dass zwei Ex-Straßenkinder als Köchin beziehungsweise Haushälterin für den damaligen äthiopischen Präsidenten arbeiten.
    Es ist ein anregender und belebender Tag. Wieder auf der
Ranch, sehen wir uns Schatten der Leidenschaft an, eine ausnehmend blöde amerikanische Daytime Soap, und verbringen eine wunderschöne Stunde damit, darüber zu rätseln, wo denn nun die Leidenschaft und die Schatten sind. Das war seltsam faszinierend.

Donnerstag, 12. September
    5 Uhr 30: Ein paar von uns fahren in einem voll gepackten Jeep nach Damot Weyde – eine sechsstündige Reise nach Süden. In jener Gegend hat es im Jahr 2000 eine Hungersnot gegeben, und dieses Jahr lässt der Regen auf sich warten, sodass die Maisernte ausgefallen ist und den Menschen erneut eine Hungersnot bevorsteht.
    Auf der Fahrt passieren wir immer wieder Felder mit verbranntem Mais. Aber ansonsten ist die Landschaft hinreißend schön: Hohe Bergketten erheben sich in den blauen Himmel, und abgesehen von dem verbrannten Mais ist es erstaunlich grün; es gibt jede Menge Bäume. Als ich frage, warum die Bäume nicht gefällt werden, um mehr Ackerland zum Anbau von Lebensmitteln zu haben, wird mir erklärt, dass die Bäume notwendig sind, um eine weitere Bodenerosion zu vermeiden, die schon jetzt ein Problem darstellt und die Folgen der Trockenheit weiter verschlimmert.
    Zu dem Eindruck einer üppigen Vegetation trägt unter anderem eine Pflanze namens Ensete oder Falsche Banane bei. Hierbei handelt es sich um eine langsam wachsende, aber dürreresistente Pflanze, die die riesigen Wachsblätter der Banane besitzt; essbar sind jedoch nur die Wurzeln. (Wenn man sie drei Stunden lang zerstoßen hat.) Obwohl der Gegend eine Hungersnot bevorsteht, nennt man sie eine »grüne Hungersnot«.
    Am Straßenrand wimmelte es immer von Menschen; die Gegend ist zwar ländlich, aber dicht bevölkert – 250 Personen pro Quadratkilometer. Zweimal kommen wir unterwegs an Leuten vorbei, die eine Bahre tragen und mit einem kranken Freund oder Verwandten zur nächsten Klinik unterwegs sind.
     
    9 Uhr 30: Zum Frühstück Aufenthalt in Shashemene, einer Stadt mit einer großen Rastafari-Gemeinde. Ich muss meinen Herzallerliebsten zügeln, denn er hatte schon immer insgeheim den Wunsch gehegt, wegzulaufen und ein Rasta zu werden.
     
    Mittag: Ankunft auf dem Concern-Gelände. Es liegt zwanzig Kilometer entfernt von einer geteerten Straße und hat keine Telefonverbindung. Aber es gibt Elektrizität, und wie mir alle – mit strahlenden Gesichtern – immer wieder beteuern, eine Dusche mit heißem Wasser. Und eine Toilette?, erkundige ich mich besorgt. Ja, antwortet man mir. Na ja, eine Latrine im Freien, was doch eigentlich dasselbe ist. Aber ich gehöre leider nicht zu den Menschen, die sonderlich gut mit einer Latrine im Freien zurechtkommen. Auch wenn ich

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