Pralinen im Bett: Schuhdiebe, Mutterliebe, Seitenhiebe und weitere Tücken des Alltags (German Edition)
Concern in Addis Abeba einen wunderschönen Markt gibt, bin ich nicht überzeugt. Auch mein Herzallerliebster leidet unter einer gewissen Erwartungsangst.
Montag, 9. September
9 Uhr. Aufbruch zum Flughafen. Wir fliegen erst nach London, dann nach Alexandria und von dort nach Addis Abeba. Verspätung in London, noch mehr Verspätung in Ägypten.
Dienstag, 10. September
3 Uhr 30. Wir landen (mit zweieinhalb Stunden Verspätung) auf dem Flughafen von Addis Abeba und hängen dann sehr lange am Gepäckband herum, bis klar ist, dass unser Koffer die Reise nicht mit uns zusammen gemacht hat. Aber er wird mit dem nächsten Flug kommen, sagt uns der freundliche Angestellte. Am Freitag. Aber heute ist Montag, protestiere ich. Genau genommen Dienstag, erwidert er. Wir haben weiter nichts als die Kleider, die wir auf dem Leib tragen, ein (gelesenes) Exemplar von Vanity Fair und eine Auswahl von Snacks, die wir in einer Flughafenlounge haben mitgehen lassen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als den Flughafen zu verlassen und unseren armen Fahrer kennenzulernen, der seit halb zwei draußen wartet.
4 Uhr 45: Ankunft auf dem Concern-Gelände.
5 Uhr: Kopf berührt das Kissen.
5 Uhr 01: Hahn kräht.
5 Uhr 02: Noch ein Hahn kräht. Dann stimmen vierhundert seiner besten Freunde mit ein. Ein Lautsprecher erwacht und blökt äthiopische Popmusik in die Gegend. Ach ja, das ist bestimmt der Markt gleich hinter der Mauer.
9 Uhr 30: Wir wachen auf, ziehen unsere dreckigen Klamotten an und ziehen los, um uns den Leuten von Concern vorzustellen. Ein wundervoller Morgen, der Himmel ist strahlend blau. In der Ferne sehe ich üppig grüne Hügel – das ist doch bestimmt ein Fehler? Wo ist die sonnengebleichte Wüste?
Die Concern-Leute sind total nett, wollen uns Klamotten leihen und geben uns den Tipp, dass wir uns auf dem Markt hinter der Mauer Unterwäsche etc. kaufen könnten. Eine Mischung aus Angst und Neugier treibt meinen Herzallerliebsten und mich durch die Tore hinaus und hinein nach Downtown Addis Abeba. Ich schwöre bei Gott, es ist, als kehrten wir zurück in biblische Zeiten. Eine staubige Straße aus roter Erde, die vor Leben strotzt – große, elegante Männer in Gewändern und Gummistiefeln, Frauen mit auf den Rücken gebundenen Babys, ein Mann, der ein Schaf wie einen Schal um den Hals trägt, mit riesigen Bündeln Feuerholz beladene Esel, verrückte tremolierende Musik, die von irgendwo herüberweht. Die einzigen nichtbiblischen Elemente sind die Minibusse, die sich laut hupend einen Weg durch das Gewimmel bahnen und versuchen, die Ziegenherden, die ihnen im Weg stehen, auseinander zu treiben. Auf Decken am Straßenrand wird alles Erdenkliche feilgeboten: Zwiebeln, Tomaten, Batterien, Bindfaden, Hühner (lebendig und ungerupft), Feuerholz und – oh, großartig! – auch Socken und Unterhosen. Die Socken sind okay, die Unterhosen weniger – unförmig und irgendwie komisch. Aber was soll’s, fremde Länder, fremde Hosen … Der Preis für zwei Paar Socken und zwei Paar komische rosa Unterhosen? Zwanzig Birr – das sind ungefähr zwei Euro. Sehr günstig. Man hat uns zwar eingeschärft, wir sollten feilschen, aber bei dem Preis? Am nächsten Stand erwerben wir zwei Unterhosen für meinen Herzallerliebsten, ein T-Shirt für fünfzig Birr und ein Paar Plastiksandalen für mich für achtzig Birr.
12 Uhr 30: Angetan mit unseren neuen und geborgten Sachen machen wir uns auf den Weg zu einem von Concern s Projekten. Addis Abeba ist eine Stadt, die auf dem ersten Blick fast ganz aus rostigem Eisen zu bestehen scheint; meilenweit ärmliche Hütten,
die Löcher im rostigen Wellblech notdürftig mit Binsenmatten und Plastiktüten gestopft. Es gibt kaum geteerte Straßen: Lediglich unbefestigte klumpige Dreckstraßen, wie ich sie noch nie in einer großen Stadt gesehen habe. Und überall Menschen – alles ist extrem dicht bevölkert. In Addis Abeba leben schätzungsweise fünf Millionen Menschen.
Unsere erste Station ist ein kommunales Städtebauprojekt, an dem Concern mit den Ärmsten der Armen arbeitet – allein erziehende Mütter mit ihren Kindern, Familien mit mehr als zehn Mitgliedern. Es werden Häuser, Gemeinschaftsküchen, Brunnen, Latrinen und Straßen gebaut. Concern stellt den größten Teil der Geldmittel zur Verfügung, aber die Gemeinde steuert die Arbeitskräfte bei und ist später für den Erhalt der Gemeinschaftsbereiche verantwortlich.
Zu den vielen Leuten, die ich kennen
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