Pretty Daemon
sich auf Erden nicht oft in ihrer wahren Gestalt. Hollywoods Darstellung dieser Monster als zähnefletschende, schuppenüberzogene Tötungsmaschinen mit eitrig gelben Augen und Reißzähnen mochte der Industrie vielleicht viel Geld einbringen, entsprach aber nicht der Wahrheit. Ein solcher Dämon könnte sich niemals lange außerhalb der Hölle aufhalten.
Als Level-Zwei-Dämonenjäger bei der Forza Scura, einer geheimen Institution des Vatikans, hatten wir die Aufgabe, sicherzustellen, dass dieser Dämon den Status quo niemals verändern würde.
An diesem Tag traten wir als Sieger aus dem Kampf hervor. Aber wir bezahlten dafür einen hohen Preis.
»Katherine?«, fragte Padre Corletti sanft. Ich wusste, dass er mich und meine Gedanken wie immer wie ein Buch lesen konnte. »Bist du noch da?«
Ich blinzelte und zwang mich dazu, das Bild zu verdrängen, das vor meinem inneren Auge aufgestiegen war: wie der Dämon Camis Halsschlagader durchtrennt hatte und ihr Kopf nach vorn gesunken war. »Ja«, flüsterte ich heiser. »Ich bin noch da.«
»Es tut mir leid, dass ich solche Erinnerungen wieder wachrufen muss, aber…«
»Ich muss es wissen«, unterbrach ich ihn wie betäubt. »Ich muss wissen, womit ich es zu tun habe.«
»In deinen Erinnerungen liegt eine große Kraft«, sagte Padre Corletti. »Selbst in den schmerzhaften. Ich möchte nicht, dass du…« Er brach abrupt ab, und ich hörte, wie das Telefon knirschte, als er es von einer Hand in die andere nahm. In der Ferne waren gedämpfte Stimmen zu hören. »Katherine«, sagte er auf einmal mit einer klaren und rauen Stimme. »Entschuldige bitte. Ich muss kurz weg, bin aber gleich wieder da.«
»Ja, natürlich. Gut, ich warte.« Ich holte tief Luft. Im Grunde wusste ich nicht, ob ich mit meinen Erinnerungen alleingelassen werden wollte. Doch da ich inzwischen nicht mehr sechs Jahre alt war, konnte ich Padre Corletti wohl kaum bitten, am Telefon zu bleiben. Die Zeit, da er mich ins Bett gebracht und mir versprochen hatte, auf mich aufzupassen, war schon lange vorbei.
In Wirklichkeit wusste ich natürlich, dass niemand auf mich aufpassen konnte. Im Grunde hatte ich das mein ganzes Leben lang gewusst. Doch diese simple Wahrheit hatte ich erst wirklich begriffen, als wir uns auf dieser Mission befunden hatten.
An jenem schrecklichen Tag verloren wir zehn Jäger. Eric und ich überlebten nur durch ein Wunder. Es waren keine Erinnerungen, an die ich gern dachte. Aber ich konnte mich nicht dagegen wehren. Auf einmal tauchte alles wieder vor mir auf, und ich taumelte in die Vergangenheit zurück. Zu jenem Tag des Terrors. Zu jenen Stunden, als wir uns absolut sicher waren, dass wir alle sterben müssten, dass es keinen Ausweg mehr gab.
Doch es hatte einen Ausweg gegeben. Wir beide hatten überlebt.
Bis heute wusste ich noch immer nicht, warum.
Unser Auftrag hatte recht typisch angefangen. Wir krochen durch dunkle, feuchte Katakomben und suchten nach einem Dämonenversteck. Wir hatten uns von unseren Kameraden getrennt. Jedes unserer sechs Teams nahm einen anderen Weg, um nach dem geheimen Eingang zu Abaddons geheimer Kammer zu suchen. Wir hatten wie immer alle unsere Waffen dabei und in diesem Fall noch etwas anderes. Jedes Team trug ein Stück des blutigen Steins von Golgatha mit sich. Die Reliquie war bereits vor vielen Jahrhunderten in sechs Teile zerbrochen und für diese Mission extra aus den Kellern des Vatikans geholt worden, wo der zerbrochene Stein in einer mit Samt ausgelegten Dose aus Ebenholz gelegen hatte.
Nach einer jahrhundertealten Legende besaß der blutige Stein die Macht, Abaddon in die dunkelste Hölle zurückzuschleudern und für alle Ewigkeit seine Absicht zu vereiteln, Gestalt anzunehmen, wenn man ihn nur zur rechten Zeit zusammensetzte. Dazu mussten wir nahe genug an den Dämon herankommen. Nachdem wir stundenlang bereits durch die Katakomben gekrochen waren, hatte ich das Gefühl, diese Chance niemals zu bekommen.
Wie viele Katakomben waren auch diese erbaut worden, um Tote aufzunehmen, als die Friedhöfe überquollen und die Gefahr von Seuchen bestand. Schädel, Oberschenkel- und Hüftknochen waren bis zu den Decken gestapelt. Es bot sich uns ein makaberer Anblick, der zu jener Zeit aber wohl recht normal und vor allem unter praktischen Gesichtspunkten akzeptabel gewesen war.
Eric und ich rannten einen Tunnel entlang, bis wir auf eine Wand stießen. Eine Horde Dämonen war uns auf den Fersen. Die Kreaturen folgten allerdings nicht uns,
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