Pretty Daemon
holte ich ihn vor Wanda Abernathys Haus ein.
»Hallo«, sagte ich, streckte dem Mann die Hand hin und versuchte dabei wie eine freundliche – wenn auch ziemlich aufdringliche – Nachbarin zu wirken. »Mir fiel auf, dass Sie etwas verloren wirken, und da dachte ich mir, dass ich Ihnen vielleicht helfen kann.«
»Ich… Äh… Ja.« Er nahm meine Hand, und ich hörte weder ein Zischen noch ein Brutzeln. Die Luft erfüllte sich auch nicht mit dem Geruch von verbranntem Fleisch. In der Welt einer Dämonenjägerin ist das immer ein gutes Zeichen. Ich wusste zwar noch nicht, wer der Fremde war, aber zumindest schien er kein Dämon zu sein.
»Sie sind sehr freundlich«, sagte er mit einem leicht osteuropäischen Akzent. »Aber ich habe mich keineswegs verlaufen.«
»Deidree? Bist du das, Liebes?«
Ich drehte mich um und entdeckte Mrs Abernathy, die mit einem Regenschirm und einer Dose Desinfektionsspray in der Hand in ihrer Haustür stand. »Ich bin es – Kate. Es tut mir leid, wenn wir Sie aufgeschreckt haben.«
»Ist er ein Freund von Ihnen, meine Liebe? Ich wollte nämlich gerade die Polizei rufen. Ich mag es gar nicht, wenn man vor meinem Haus herumlungert. In letzter Zeit sind viel zu viele Leute in meinem Garten gewesen. Sie haben sich in den Büschen versteckt oder vor meinen Fenstern gestanden. So etwas geht einfach nicht.«
»Nein, er ist kein Freund. Und ich war gerade dabei, ihm das zu erklären.«
»Ich lungere nicht herum«, erklärte der Fremde. Er wandte sich an die alte Mrs Abernathy. »Ich habe nichts Böses im Sinn.«
Sie sah ihn misstrauisch durch ihre dicken Brillengläser an, hob dann ihr Kinn und begann mich zu mustern. »Wie läuft es mit dem Komitee, meine Liebe? Deidree will die Enkel bringen, wissen Sie? Tucker freut sich schon so auf den Osterhasen.«
»Sehr schön«, erwiderte ich. Im Gegensatz zu Mrs Abernathy war ich noch nicht davon überzeugt, dass der Fremde tatsächlich nichts Böses im Schilde führte. »Es läuft gut, aber momentan…« Ich beendete den Satz nicht, sondern zeigte auf den Mann.
»0 ja. Natürlich. Ich will auch nicht länger stören, Carla.« Sie winkte mir zu. »Es hat mich gefreut, Sie zu sehen, meine Liebe.«
»Sie sollten besser wieder ins Haus«, erwiderte ich. »Es fängt bestimmt gleich zu regnen an. Sie wollen doch nicht nass werden.«
»O ja… Ja.« Sie klemmte sich den Regenschirm unter den Arm und schlurfte ins Haus zurück.
Ich holte tief Luft. Ich fühlte mich immer ziemlich hilflos, wenn ich mit Wanda sprach. Meiner Meinung nach war die alte Dame kaum mehr in der Lage, allein zu leben, und ich ärgerte mich über ihre Tochter, die sich weder um sie kümmerte, noch ihre Mutter in einem guten Seniorenheim unterbrachte.
Vorrangig sorgte ich mich jetzt jedoch nicht um Mrs Abernathy. Der Fremde, der noch immer neben mir stand, hatte nämlich begonnen, in einer alten Ledertasche zu kramen. Meine Muskeln spannten sich an, und meine Hand umklammerte das Stilett fester. Ich erwartete nun doch jeden Augenblick einen Angriff.
Doch nichts geschah. Der Mann reichte mir stattdessen einen bunten Handzettel, auf dem oben in wunderschöner Schrift das Wort ›Jahrmarkt‹ stand. »Wir sind in der Nähe der Strandpromenade. Ein Spaß für die ganze Familie. Sie werden doch kommen, oder?«
»Ach so«, erwiderte ich. »Nun ja. Es sieht ganz so aus als ob…«
»Sie werden kommen.« Er nickte entschlossen, als ob die Sache damit geklärt wäre.
Da ich keine Lust hatte, mich auf eine Diskussion einzulassen, änderte ich meine Taktik. »Sie verteilen also diese Zettel. Wieso haben Sie dann so lange vor unserem Haus herumgestanden?«
»Ich habe ein Sandwich gegessen«, erklärte er und suchte erneut in seiner Tasche herum, um diesmal eine zerknitterte Papiertüte herauszuholen. Er öffnete sie, so dass ich eine Bananenschale, eine leere Wasserflasche und den Rest eines Sandwiches erkennen konnte. »Das ist doch in Ordnung – oder?«, fragte er.
»Natürlich«, erwiderte ich und versuchte, ihn fröhlich anzulächeln. »Dann verteilen Sie nur Ihre Werbezettel weiter. Viel Vergnügen.«
»Vielen Dank, Miss. Vielen Dank.« Er tat ein paar Schritte rückwärts und riss sich den Hut vom Kopf, um ihn sich an die Brust zu drücken, als ob er ein armer Bauer und ich der großmütige Lehnsherr wäre, der ihm gerade eine neue Kuh versprochen hatte. Nach wenigen Metern drehte er sich um und eilte hastig davon.
Ich sah ihm eine Weile nach und überquerte dann die
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