Pretty Little Liars - Mörderisch: Band 6

Frau und eine Supertochter, ehrlich! ausweisen. Es war eine schwierige Wahl gewesen.
    Der Schaffner, ein grauhaariger, freundlicher Mann in einer feschen blauen Amtrak-Uniform, kontrollierte ihre Fahrkarte. »Unterwegs nach New York?«
    »Ja«, schluckte Spencer.
    »Geschäftlich oder privat?«
    Spencer befeuchtete ihre Lippen. »Ich besuche meine Mom«, platzte sie heraus.
    Der Schaffner lächelte. Eine ältere Dame auf der anderen Seite des Mittelgangs nickte beifällig. Spencer hoffte, dass weder Freundinnen ihrer Mutter noch Kollegen ihres Vaters zufällig in diesem Zug saßen. Sie wollte schließlich nicht, dass ihre Eltern erfuhren, was sie vorhatte.
    Sie hatte vor ihrem Aufbruch noch ein letztes Mal versucht, mit ihrer Familie über ihre Adoption zu reden. Ihr Dad arbeitete
von zu Hause aus, und Spencer stellte sich in den Türrahmen seines Büros und beobachtete ihn dabei, wie er auf seinem Computer die New York Times las.
    Sie räusperte sich und Mr Hastings drehte sich um. Sein Gesicht wurde weich. »Spencer?«, sagte er mit Besorgnis in der Stimme. Es war, als habe er vorübergehend vergessen, dass er sie eigentlich hassen sollte. In Spencers Kopf stiegen Wogen von Sätzen auf. Sie wollte ihren Dad fragen, ob all das wirklich wahr sein konnte. Sie wollte ihn fragen, warum er ihr nie etwas von der Adoption gesagt hatte. Sie wollte ihn fragen, ob er und ihre Mutter sie wie ein Stück Scheiße behandelten, weil sie nicht ihre echte Tochter war. Aber dann hatte sie der Mut verlassen. Sie hatte gar nichts gesagt, sondern nur mit den Schultern gezuckt und war wieder in ihr Zimmer geschlichen.
    Jetzt piepste ihr Handy. Spencer zog es aus ihrer Umhängetasche. Eine SMS von Andrew. Willst du vorbeikommen?
    Ein in die Gegenrichtung fahrender Zug donnerte an ihr vorbei. Spencer schrieb eine Antwort: Gehe mit meiner Familie essen, sorry. Das war keine richtige Lüge. Sie wollte Andrew von Olivia erzählen, aber sie hatte Angst. Wenn sie ihm gesagt hätte, was sie vorhatte, dann hätte er den ganzen Abend gespannt auf ihren Anruf gewartet und wissen wollen, wie das Treffen gelaufen war. Aber was, wenn es schlecht lief? Was, wenn Spencer und Olivia sich nicht ausstehen konnten? Sie fühlte sich schon verletzlich genug.
    Der Zug ratterte weiter. Ein Mann in der Reihe vor Spencer legte einen Teil seiner Zeitung beiseite, und Spencer erspähte mal wieder eine Story über Rosewood. Wurden bei der Untersuchung von DiLaurentis’ Verschwinden Fehler gemacht?, quäkte eine Schlagzeile. Spencer zog sich ihre Zeitungsjungenkappe von
Eugenia Kim tiefer ins Gesicht und sank in ihren Sitz. Diese irren Medienberichte hörten einfach nicht auf. Aber was wäre, wenn die Polizisten, die vor mehr als drei Jahren Alis Verschwinden untersucht hatten, wirklich etwas Wichtiges übersehen hatten? Sie dachte an Ians Nachrichten. Sie haben entdeckt, dass ich Bescheid wusste. Verstehst du, warum ich flüchten musste? Sie haben mich gehasst, das weißt du.
    Es war merkwürdig. Ian dachte schließlich, er chatte mit Melissa, nicht mit Spencer. Wusste Melissa also, wer Ian hasste und warum? Hatte Ian ihr seinen Verdacht gesagt? Aber wenn Melissa eine andere Version der Ereignisse am Abend von Alis Tod kannte, warum hatte sie der Polizei nichts davon erzählt?
    Vielleicht hatte Melissa vor jemandem Angst und schwieg deshalb. Spencer hatte ihre Schwester in den vergangenen zwei Tagen mehrmals angerufen, weil sie unbedingt herausfinden wollte, was diese wusste. Aber Melissa hatte sie nie zurückgerufen. Die Tür, die zwei Waggons miteinander verband, ging geräuschvoll auf. Eine Frau in einem blauen Business-Anzug schwankte den Mittelgang entlang. Sie trug einen Pappkarton, in dem ein paar Becher mit verbrannt riechendem Kaffee und ein paar Wasserflaschen standen. Spencer lehnte den Kopf ans Fenster und beobachtete, wie kahle Bäume und Telefonmasten an ihr vorbeizogen. Was hatte Ian damit gemeint Sie haben mich gehasst . Hatte das etwas mit der MMS zu tun, die Emily vor einer halben Stunde an sie alle weitergeleitet hatte? Das alte Foto von Ali, die mit einer teilweise verdeckten Naomi Zeigler und Jenna Cavanaugh in Alis Garten stand? A.s Nachricht deutete darauf hin, dass das Foto ein Hinweis war – aber worauf? Okay, es war komisch, dass Ali mit der uncoolen Jenna Cavanaugh Zeit verbracht hatte, aber Jenna hatte Aria bereits erzählt,
dass sie und Ali heimlich befreundet gewesen waren. Und was hatte das alles mit Ian zu tun?
    Spencer konnte sich