Price, Richard
Andre Tyrone auf der Kette sitzen sah und dass ihm das
Vanille-Yoo-Hoo auffiel. »Was gibt's, kleiner Mann?«, rief Andre. Tyrone zuckte
mit den Schultern, schaute verkrampft drein, hielt den Blick auf die
Turnschuhe gesenkt, und Strike wusste instinktiv, dass die Gerüchte, Tyrones
Mutter sei mit Andre zusammen, stimmten. Keine Frage, dass es wegen der Flasche
Yoo-Hoo einen Riesenstunk geben würde.
In diesem
Augenblick rollten Big Chief und die anderen aus dem Fury an, die anscheinend
auf einen Überraschungsangriff zum Wochenende gesetzt hatten. Big Chief stieg
aus dem Wagen und knurrte in seinem rauen Bass: »Du versaust mir mein Timing,
Andre.«
»Komm in
'ner halben Stunde wieder.« Andre ließ seine Zähne durch den Spitzbart blitzen.
»Diese Idioten werden sich nicht daran erinnern.«
Die Zange
schließend, tauchten Thumper und Smurf hinter Andre auf, und bald wimmelte es
überall von Bullen, Dealern und Anwohnern, sich davonmachenden Kunden und
herbeieilenden Kindern. Strike kümmerte sich nicht um die Leute, war damit
beschäftigt, über all die Menschen in seinem Leben nachzudenken, die ihm augenblicklich
Kummer machten.
Strike
schreckte hoch, als Thumper eine Hand hinten in seine Hose steckte. Thumper sah
Andre an und legte einen Unterarm beinahe zärtlich um Strikes Kehle. »Macht es
dir was aus, wenn ich das übernehme? Ich liebe es, mir Strike vorzunehmen.«
Strike
sah, wie Andre wieder Tyrone und die Flasche Yoo-Hoo ins Visier nahm. »Ja«,
sagte Andre, »ich nehm ihn mir dann das nächste Mal vor.«
Während
Thumper seine Hände an Strikes Beinen emporgleiten ließ, machte sich Andre in
Richtung seines Beobachtungspostens auf und wirbelte dann herum. »Kleiner
Mann!«, rief er nach Tyrone und winkte ihm, damit er sich ihm anschloss.
Tyrone
warf Strike einen flüchtigen Blick peinlich berührter Entschuldigung zu und
ging unter Andres Arm davon.
»Schwanzkontrolle«,
sang Thumper, und als Strike, der in angstvolle Gedanken versunken war, nicht
schnell genug reagierte, nahm sich Thumper die Freiheit, Strikes Hose selber
aufzuknöpfen.
Strike
kauerte vor dem Safe, der unter der Spüle versteckt war, und zählte sein Geld.
Er war allein in der erstickend verdreckten Küche einer alten
heruntergekommenen Wohnung, einem Safehaus, dieses hier bewohnt von einem
älteren Ehepaar mit einem geistig behinderten Sohn mittleren Alters, die
letzten Weißen in einer rein schwarzen Nachbarschaft. Die Besitzer, nahezu
unsichtbar, selbst wenn sie anwesend waren, waren ausgegangen, und Strike
hatte die Wohnung für sich allein.
Immer noch
ziemlich nervös, hatte Strike die Bänke verlassen, kaum dass die Copmeute
verschwunden war. Er war eine Weile ziellos durch die menschenleeren Straßen
der Innenstadt von Dempsy gefahren, bevor er beschlossen hatte, seinen Safes
einen Besuch abzustatten. Plötzlich wollte er sich vergewissern, dass er, wenn
schon nicht den Vorsatz, so die Mittel hatte, sich ein neues Leben zu schaffen.
Strike
schnippte mit einer Handvoll Zwanziger eine Küchenschabe von seinen Jeans und
fand, dass er mit den siebentausend hier und den fünfzehntausend in den beiden
anderen Safes eine Menge Meilen zwischen sich und Dempsy legen konnte.
Aber die
Zahlen bereiteten ihm nur geringe Freude: Immer wieder kam ihm dieser Junge in
den Sinn. Er hätte nie mit ihm zum Friseur gehen sollen, und er konnte sich gut
vorstellen, wie seine Mutter ihn sich vorgeknöpft hatte, konnte sehen, wie sie
zu Andre rannte und sagte: >Jemand da draußen hat deinem Sohn einen
Haarschnitt verpasst<. Und jetzt hatte das Yoo-Hoo Andre auch noch alles
verraten, was er wissen musste.
Strike
kannte Andres Masche bei Kindern und stellte sich vor, wie Tyrone gerade in
diesem Augenblick in der Beobachtungswohnung war, wo Andre ihn die Bänke mit
seinem Fernglas überblicken oder vielleicht mit zementgefüllten Hanteln
rumspielen ließ. Und dann, zack, würde Andre das Kind zu sich heranziehen und
sagen: >Siehst du, er redet nicht mit dir. Er hat dir Flausen in den Kopf
gesetzt, und du fragst dich, warum er dich nicht mehr mag<. Aber ich werd
dir was erzählen, Tyrone, vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, aber
eines Tages wird er zu dir kommen und sagen: >Trag das Päckchen zu dem Haus
von diesem Mann<, oder: >Bleib dem übel aussehenden Burschen auf den
Fersen<, und du wirst springen wie ein Hündchen und alles tun, was er will,
nur damit er mit dir redet und dich wieder gut behandelt...« Das Kind würde
eine
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