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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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mit mannshohen Zäunen ringsrum. Nicht ein Auto parkte darin. An der Ecke eine Telefonzelle, doch ansonsten gab es keinerlei Deckung. Die ganze Gegend sah so aus. Nichts als Zäune, hinter denen sich die Lagerplätze von Gerüstbaufirmen, Baumaschinenhändlern und zahllosen Verwertern irgendwelcher Stoffe verschanzt hatten. Um diese Tageszeit waren alle Tore fest verschlossen und der Verkehr gegen Null gesunken. Eine absolute Scheißgegend, um in Ruhe eine kleine Observation durchzuführen. Trotzdem, an die Telefonzelle verschwendete ich noch nicht mal einen Gedanken. Den Fehler hatte ich einmal gemacht. Vor Jahren.
    Ich hatte einen Zuhälter beschattet, der in einer Haustür verschwunden war, und mir zwei Stunden lang mit dem Hörer in der Hand die Beine in den Bauch gestanden, und die ganze Zeit hatte mich keiner gestört, doch gerade als der Kerl wieder rauskam und ich mich unsichtbar zu machen versuchte, war so eine kleine, giftige alte Schachtel mit einem kleinen, giftigen Kläffer an der Leine aufgetaucht und hatte angefangen, mit dem Schirm gegen das Glas der Türe zu hämmern. Der Kläffer hatte dazu gekläfft, was das Zeugs hielt, und sie hatte geschrien, daß man es noch zwei Blocks weiter hatte hören können: »Jetzt bin ich aber mal dran! Ich beobachte Sie schon die ganze Zeit!« Und all meinen verzweifelten Beschwichtigungsgesten zum Trotz: »Sie telefonieren ja überhaupt nicht! Sie tun ja bloß so!«
    Der Zuhälter, muß man wissen, stand in dem Ruf, immer ein Messer mit Sägezahn-Klinge bei sich zu tragen, das, nach allem, was man sich so erzählte, gräßliche Wunden hinterließ. Als er meiner gewahr wurde und die Straße zu queren begann, die Rechte in der Jackentasche kramend, habe ich die Observation damals spontan abgebrochen. Anschließend habe ich meinen vom langen Stehen etwas steifen Gliedern eine Lockerungsübung gegönnt. Joggenderweise. Seither observiere ich möglichst nur noch aus Zellen, die sich starten und beschleunigen lassen.
    Also zockelte ich an der Sackgasse und dem Telefonhäuschen vorbei und weiter die Straße hinunter. Hinter einem Bauwagen war gerade noch Platz für die Carina. Ich wendete, setzte rückwärts hinein und stellte den Motor ab. Ich rutschte im Sitz nach unten, soweit es eben ging. Durch das Lenkrad hindurch hatte ich die Einfahrt zur Sackgasse gut im Blick.
    Eine ganze Weile lang passierte überhaupt nichts. Wie so oft. Zeit zum Nachdenken. Ich kramte meinen Block hervor und studierte meine Notizen. Ei, das war mühsam. Veronika hatte ziemlich schnell gesprochen, und ich habe ja nie Steno gelernt. Im Laufe der Jahre habe ich so meine eigene Kurzschrift entwickelt, die K. O. S. (>Kryszinskis Own Shorthand<), die sogar noch schneller ist als Stenographie. Schneller zu schreiben, heißt das.
    Der Anfang ging noch. >Waltr Vgl<, stand da, >Obrhsner Str ... 108? 106? 103? 109? Oder 10 B?< Na ja, nicht so wichtig.
    Immerhin hatte ich ja noch seine Telefonnummer. 41-1? Oder war das 'ne 7? Ich gab's auf. Wozu gibt es Telefonbücher. Nächste Zeile.
    Selbstredend konnte ich mich an das meiste auch so noch erinnern.
    Walter Vogel war also der Typ, der Veronika den Floh ins Ohr gesetzt hatte, Roselius sei das Opfer eines schlau eingefädelten, teuflischen Plans geworden und ein anderer Mann, den keiner je gesehen hatte, sei der wahre Täter. Eine richtige Räuberpistole, seine Theorie.
    Ich hatte mir Veronikas Schilderung ruhig angehört, mir Notizen gemacht und meine Kommentare für mich behalten. Nur mein linker Mundwinkel war langsam zur Seite gewandert, in ein skeptisches Grübchen hinein. Als ich hörte, Walter Vogel sei Sozialarbeiter bei der AWO, war der rechte Mundwinkel auch noch in Bewegung geraten.
    Wir alle haben so unsere Vorurteile, selbst ich.
    Morgen früh würde ich mich mal mit ihm zusammensetzen und ihn ein wenig abklopfen.
    Da! Ein dreckverkrusteter VW-Bus mit losen Zylinderköpfen bollerte vorbei. Schwarze Kennzeichen mit etwas ungelenk nachgemalten weißen Buchstaben. Kein Nationalkennzeichen, aber die Nummernschilder und der generelle Zustand des Fahrzeugs addierten sich mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer polnischen Herkunft. Ein Blinklicht flackerte in rasendem Takt, und ein Bremslicht glomm müde auf, als sie in die Sackgasse einbogen. Ich drehte die Scheibe ein Stückchen runter und konnte Zorros besessenes Bellen hören. Nach ein paar Minuten wurde es wieder ruhig. Ganz, ganz allmählich begann es zu dämmern. Ich rauchte und wartete und

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