Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
steckte meine Notizen fürs erste weg. Statt dessen zog ich die Kopien der polizeilichen Protokolle aus der Tasche.
    Die Bottroper Kripobeamten Kujak und Schneider hatten Roselius nach seiner Verhaftung abwechselnd verhört. Ich konnte es mir vorstellen. Höchstwahrscheinlich die >Der Harte und der Zarte<-Nummer. Doch eine richtige Vernehmung war eigentlich nie daraus geworden. Dazu gab es von Seiten des Verdächtigen zuwenig Text. Ein mehrfaches >Ich find das gar nicht prickelnd< war somit die einzige Äußerung Roselius', die Eingang in die Akten gefunden hatte.
    Allmählich begann ich zu ahnen, wie er an seinen Spitznamen gekommen sein könnte.
    Da stand nicht, ob und wie sie versucht haben, mehr aus ihm herauszubekommen, nur >daß der Verhaftete einen verstockten, verschlossenen Eindruck macht und keinerlei Kooperationsbereitschaft erkennen läßt.< Schließlich haben sie einen Psychologen kommen lassen, einen erdrückenden Berg von Indizien zusammengetragen und den Fall für abgeschlossen erklärt. Mein Verständnis hatten sie. Das Messer alleine wäre notfalls Beweis genug gewesen, um ihm bei unseren amerikanischen Freunden mit Gas, Strom oder Gift die Lampe auszupusten.
    Dazu kam noch das Blut an praktisch all seinen Kleidungsstücken und seine Fingerabdrücke auf Türgriffen und einem Glas, die wie durch ein Wunder das Löschwasser überstanden hatten. Sie hatten auch verschiedene andere Abdrücke gefunden, doch waren die Inhaber entweder nicht registriert gewesen, oder waren, in den beiden anderen Fällen, mit eindeutigen Alibis um die Ecke gekommen. Nur aus Interesse las ich sie mir durch. Der eine hatte zur Tatzeit hinter der Theke vom >Selection-Club< in Gladbeck gestanden.
    Wieder dieses Wort, dachte ich. Man sollte doch meinen, daß es nach der Rampe von Auschwitz für immer aus dem deutschen Sprachschatz verbannt worden wäre. Doch seit die eine oder andere, gerade während der Nazizeit und nicht zuletzt dank der tatkräftigen Mithilfe selektierter Arbeitssklaven großgewordene Autofirma mit zynischer Unverfrorenheit ihre Gebrauchtwagenhalde so getauft hat, erlebt >Selektion< - mit einem schlichten >c< verbrämt - unter Federführung der ja sowieso völlig schamlosen Werbeindustrie zur Zeit eine regelrechte Renaissance. Es möchte einem übel werden.
    Der andere war genau einen Abend vorher beim versuchten Raubüberfall auf einen Geldboten erst niedergeschossen und dann verhaftet worden. Kompliment, das nenne ich ein Alibi.
    Die Verblichene hatte unter ihrem Mädchennamen Monika Siebert eine Akte bei der Bottroper Polizei, in der sie als >Gelegenheitsprostituierte< geführt wurde. Einer Kollegin namens Dorothee Montag, Künstlername >Safira<, soll sie noch am Tag der Tat erzählt haben, abends erwarte sie einen Kunden, ein >richtiges Riesenbaby< so ihre eigenen Worte, der noch nie gebumst habe. Die Beschreibung, wie sollte es anderes sein, paßte geradezu wundervoll auf Bernd Roselius.
    Kein Wort in dem ganzen Protokoll, das auch nur ansatzweise auf die mögliche Existenz dieses mysteriösen zweiten Mannes hindeutete, von dem Walter Vogel phantasierte.
    Na, morgen würde ich ja sehen, was für ein Vogel das war. Mitte Vierzig, hatte Veronika gesagt. Ich tippte auf einen graubärtigen und langhaarigen Späthippie mit Esoterik-Tick, dem magische Schwingungen aus dem Jenseits während einer Seance die Botschaft von Prickels Unschuld übermittelt hatten. Einer Seance auf dem Scheißhaus wahrscheinlich.
    Zorro bellte. Meine Hand suchte den Zündschlüssel. Scheinwerfer leuchteten, und ich wollte schon starten, da erkannte ich Atas Golf Caddy. Er schnarrte vorbei. Bei jedem Schlagloch konnte man leere Flaschen in den Kisten auf der Ladefläche klirren hören.
    Ich entspannte mich wieder. Ata würde nicht lange wegbleiben.
    Es war längst zu dunkel zum Lesen. Ich rauchte, bis der Hals ganz kratzig war. Ich hätte Kaffee mitnehmen sollen. Und was zu beißen. Doch ich war zu fickrig gewesen, hierhin zu kommen und mir fünf Mille Belohnung zu verdienen. Und ich hatte nicht damit gerechnet, daß es so lange dauern würde. Was, zum Deibel, gab es da so lange zu verhandeln? Das hier war Oberhausen, nicht Genf. Mürrisch steckte ich mir noch eine an.
    Ata kam zurückgeschnarrt. Volle Flaschen klunkerten bei jedem Schlagloch.
    Es wurde stockfinster. Nichts tat sich. Irgendwo rumpelte ein Zug. Ein Propellerflugzeug brummte quer über meinen Ausschnitt des Nachthimmels, mit blinkenden Lichtern an allen Enden. Ab und an

Weitere Kostenlose Bücher