Prickel
Daumen raus, das Gesicht eine starre Maske, völlig unempfänglich, unberührt, taub für die ganzen Wahrheiten und noch mehr Beleidigungen, die ich ihm aus vollem Hals entgegenschleudere, während man mich unter Keuchen Schritt für Schritt näher an ihn heranzerrt ...
Näher und näher und näher heran an diese eiskalte Visage und dann eine plötzliche Handbewegung und - pfffff .
Kalte Fliesen an der Wange, lauwarme Kotze überall, unkontrollierbare Krämpfe in sämtlichen Muskeln, Atemholen ein unvorstellbar mühseliges, wahnsinnig anstrengendes, beinahe unmögliches Unterfangen - Angst, hier, auf dem Boden des Ganges, unter den Augen der Umstehenden, mich in meiner eigenen Kotze windend, den Tod durch Ersticken zu erleiden .
Ein Stich in den Arm, dann noch ein Herzschlag oder zwei, und ich lag ruhig. Ich atmete durch, tief, tiiieeefff, und noch mal und noch mal und noch mal. Das Gefühl uferloser Dankbarkeit durchströmte mich. Wörtlich. Es kam, es ging sofort wieder, und nicht einmal eine Ahnung davon blieb in mir zurück.
Ich setzte mich auf. Mein Kopf schmerzte rasend. Mir war übel. Zittrig. Alles in allem war ich schlapp wie ein Windsack bei Flaute.
Ein Kreis weißer, gebügelter Hosenbeine umgab mich. Ich sah hoch. Dr. Blandette stand direkt über mir, einen hochzufriedenen Ausdruck im Gesicht. Mit einem kleinen Fingerzeig auf die leere Fixe in seiner Rechten rasselte er die Namen zweier außerordentlich kompliziert klingender chemischer Verbindungen herunter.
»Rein von der Theorie her«, hielt er uns allen einen kleinen Vortrag, »sollte man meinen, daß das eine die Wirkung des anderen komplett und spurenlos neutralisiert. Und doch klagen die meisten Patienten nach der Behandlung über heftige Übelkeit, allgemeine Mattigkeit und allzu oft auch über migräneartige Zustände von Kopfschmerz.« Dabei lächelte er auf mich herunter. Es war ein Lächeln ohne jede Wärme, ohne Humor; und es galt auch nicht mir. Es war ein egozentrisches kleines Lächeln, nur für einen bestimmt. Prof. Dr. Dr. Blandette war mal wieder von sich selbst entzückt.
»Sie stecken bis zum Hals in der Scheiße, Blandette«, sagte ich zu ihm. Warum eigentlich? Ich hatte nichts gegen ihn in der Hand.
»Doktor Blandette!« kam es sofort und in aller Schärfe zurück.
Sowas sagt man halt in solchen Augenblicken. >Man legt sich nicht an mit einem .< hatte mir auch noch auf der Zunge gelegen. Doch der Klang stimmte nicht, irgendwie. Damit ein solcher Satz Wirkung erhält, muß man >Corleone< heißen. Nicht >Kryszinski<.
»Stehen Sie auf!« befahl der Doktor. »Kommen Sie in mein Büro. Und Sie, meine Herren, begeben sich wieder auf ihre Stationen. Weber? Lassen Sie Dr. Schmeling mal nach ihrer Nase sehen. Ah, und Sie, Neuhaus, bleiben hier, bei mir.«
»Nur für alle Fälle«, meinte er liebenswürdig und hielt mir die Türe zu seinem Büro auf.
Drinnen gab es ein Waschbecken. Darüber einen Spiegel. Ich blickte hinein. Mehr oder weniger frisch Erbrochenes an Ohr und Wange und dazu die energiegeladene Mimik eines Schlafwandlers gaben meinem Spiegelbild etwas von einem Berber im Endstadium. Kurz entschlossen hielt ich den ganzen Kopf unter den Hahn. Als ich zwei Minuten später wieder hochkam, ging es schon wieder halbwegs. Ich rubbelte mir das Haar. Am Hinterkopf bildete sich ein ordentliches Horn. Wasser tropfte mir in den Nacken, lief mir den Rücken herunter. Der Kopfschmerz machte mich irre. Auf meine Knie schien noch kein rechter Verlaß zu sein. Mit dem Handtuch immer noch auf dem Kopf ließ ich mich auf den Stuhl fallen, in dem ich letztens schon gehangen hatte.
Der Doktor schenkte mir einen abschätzenden, schließlich abfälligen Blick und entließ Pfleger Neuhaus mit einem Nicken Richtung Türe.
Klapp, machte die Türe.
Wir schwiegen ein bißchen.
Der Doktor lief ein paarmal hin und ein paarmal her, bevor er stoppte und nachdenklich auf mich heruntersah. Das leichte Kopfschütteln, das er dabei an den Tag legte, schien geradezu bedauernd zu sein; es schien ausdrücken zu wollen, was für ein Jammer es doch sei, daß ein so verdienter, so oft verwundeter, so hoch dekorierter Soldat wie ich es ausgerechnet am allerletzten Tag vor dem endgültigen Waffenstillstand noch geschafft hatte, vor dem Kriegsgericht zu landen.
»Hausfriedensbruch«, sagte er zu mir. »Körperverletzung. Versuchte Gefangenenbefreiung.«
Er schmatzte leicht mit den Lippen und ging wieder ein wenig hin und her.
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