Prickel
erzählt, wie er zu seinen diversen Blessuren gekommen ist: »Ich hatte mir gerade die Kugeln aufgebaut - nicht hier, paar Straßen weiter ist das gewesen, vorvorgestern Nacht - mach mir gerade ein bißchen Kreide auf den Queue, als so ein Typ zur Türe reinkommt. Nicht sehr groß, nicht sehr breit, eher unauffällig, doch mit 'ner Sonnenbrille auf, dabei war's schon dunkel draußen, und mit sowas wie 'nem Spastiker im Schlepptau, der alle seine Zähne im Gesicht trug.«
Ab dem Punkt seiner Erzählung hab ich nicht mehr richtig getroffen. Bis dahin hatte ich gar nicht schlecht gelegen, allein schon weil Paul (>nenn mich Paule< - verrückt, ich weiß) -Paule, also, mit dem für ihn ungewohnten Auge zielen mußte, wegen des Veilchens, doch ab da hätte ich ihm die Biere auch genauso gut kampflos kaufen können. Ich brachte nichts mehr zustande.
»Ich meine«, war er auf seine ruhige Art fortgefahren, »es kann ja jeder rumlaufen, wie und mit wem er will, was schert's mich, doch ich habe noch keine drei Stöße gespielt, und was macht der Spastiker? Stellt sich an meinen Tisch, idiotisch grinsend, mit Sabber am Kinn, und nimmt eine von den Kugeln auf.« Er zog eine Grimasse, die einen grotesken Überbiß andeutete und wackelte mit dem Kopf dazu.
»Es ging ja um nichts«, sagte er und hob bedächtig die breiten Schultern, »ich hab ja nur gegen mich selbst gespielt. Also hab ich zu dem Heini gesagt, er solle die Kugel schön brav wieder hinlegen und woanders hingehen, ja? Ist doch normal, oder?« Paule nahm einen Schluck.
»Wollte er nicht. Wollte die Kugel behalten. Auch noch die 8. Ich meine, jede andere wäre ja halb so wild gewesen, doch um die 8, da dreht sich eben alles, oder nicht? Also habe ich etwas lauter gesagt, er solle sie hinlegen und sich verziehen. Er hat nur >dadada< gemacht und gesabbert und die Kugel in die Tasche gesteckt. Da bin ich ein bißchen sauer geworden. >Raus mit der Kugel<, hab ich gesagt und ihm mit der stumpfen Seite vom Queue einen kleinen Stups gegeben. So in die Rippen. 'Nen minimalen Schubser, glaub's mir.« Er sah mich über die Länge seines Queues aus seinem heilen Auge treu an, und ich glaubte ihm. Er war ein gelassener Bär von einem Mann und wirkte nicht so, als ob er für eine dämliche Billardkugel ein Schlägerei vom Zaun brechen würde.
»Im nächsten Augenblick«, seufzte er und schüttelte den Kopf in verständnisloser Erinnerung, »kam dieser Typ mit der Sonnenbrille über den Tisch geflogen und trat mir voll in die Fresse!«
Paule hat sich noch gewehrt, ist trotzdem zu Boden gegangen, und als er wieder hochkam, war sein Kontrahent schon weg und hatte seinen Begleiter mitgenommen.
Ob er den Typen vorher schon mal gesehen habe? Nein, nicht bewußt.
Ob ihm irgend etwas Besonderes an ihm aufgefallen sei? Nur die Augen.
»Im Laufe der Klopperei hat er die Sonnenbrille verloren und ich habe seine Augen gesehen. Zum Fürchten, das sag ich dir. Blau, und seltsam flackernd - man konnte nicht hinsehen. Na, und kurz darauf gingen dann für einen Moment alle Lichter aus, bei mir.«
Wir hatten noch einen genommen, Paule und ich. Oder auch zwei. Und mein letzter klarer Gedanke am gestrigen Abend war der gleiche gewesen wie der erste klare an diesem Morgen: Det existierte, er existierte wirklich, und nicht nur in Prickels Phantasie. Und daß er schon wieder in Begleitung eines ganz offensichtlich geistig Behinderten unterwegs war, ließ für mich nur einen Schluß zu: Er war fleißig dabei, den nächsten Mord vorzubereiten, auf die gleiche Methode wie vor ein paar Monaten in Bottrop.
Das war unglaublich.
Ich sprang in die Hose. Ich mußte dringend, dringend, dringend etwas unternehmen, oder eine weitere Frau würde grausam ins Gras beißen, und ein weiterer armer Schwachkopf würde die Tat angehängt bekommen.
Ich griff mir die Unterlagen, blätterte kurz, wählte dann die Nummer des Bottroper Polizeipräsidiums und ließ mich verbinden. >Kommissar Kujak oder Schneiders hatte ich gesagt. Ich bekam Kujak.
Er hörte geduldig zu, ohne mich zu unterbrechen, bis ich fertig war. Dann faßte er das von mir Gesagte zusammen, um, wie er sich ausdrückte, >zu überprüfen, ob er alles richtig zu Papier gebracht habe<. Es sollte eine interessante Erfahrung für mich werden.
Er sagte: »Sie sind also Privatdetektiv, befassen sich zur Zeit mit dem Fall Roselius und haben gestern in einem Essener Billardlokal einen Mann namens >Paul< kennengelernt, der zwei Nächte vorher in eine
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