Prickel
hinter einer außerordentlich widerstandsfähigen Stahltür. Und um selbst einer gewaltsamen Erstürmung durch, sagen wir mal, die Behörden nicht tatenlos zusehen zu müssen, hat er schon vor Jahren einen Durchbruch zum Trockenboden des Nachbarhauses angelegt und mit Rigips wieder verschlossen. Zwei Tritte, und man ist durch und frei, sich über die Hinterhöfe vom Acker zu machen, wohin es einen beliebt. Idealere Umstände für mein Vorhaben waren kaum denkbar. Also mußte ich ihn umstimmen.
Mit zwei langen Schritten war ich hinter seinem Schreibtisch, zog die Schublade heraus, griff mir den Beutel mit den grünen Pillen, schüttelte eine davon auf meine Handfläche und hielt sie ihm hin.
»Hier«, sagte ich. »Nimm eine und in zwanzig Minuten unterhalten wir uns noch mal.«
Er sah runter, auf die Pille, dann hoch, zu mir, dann weg. Ich hatte einen Nerv getroffen. Nicht ganz fair, doch ohne Scuzzis Hilfe konnte ich den ganzen Plan in die Tonne hauen.
»Denn wer«, hakte ich nach, »hat gestern erst tränenfeuchte Litaneien heruntergebetet über unsere ewige, unvergleichliche, unverbrüchliche Freundschaft?«
Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah weiterhin zur Seite. »Ephedrin«, murmelte er verdrießlich, »ist ein Euphorikum. Da geht's dann schon mal ein bißchen mit einem durch.«
»Och komm«, mischte sich Patsy ein. »Sei doch nicht so bockig. Was soll schon passieren?«
»Was soll schon passieren?!« Scuzzi sprang aus seinem Sessel und zerraufte sich die schwarzglänzende Frisur.
»»Krüschel versucht«, brüllte er, riß sich dann aber rechtzeitig zusammen und reduzierte die Lautstärke auf ein gepreßtes, heiseres Flüstern, »einen gewaltsam befreiten und des bestialischen Mordes so gut wie überführten Anstaltsinsassen bei mir einzuquartieren, von dem er glaubt, wohlgemerkt glaubt, daß er unschuldig ist! Und du fragst, was soll schon passieren?!«
»Ja«, hatte Patsy mit der ganzen, logischer Argumentation entwachsenen Leichtigkeit geantwortet, wie sie nur eine Frau zustande bringen kann, »das wäre doch mal eine nette Abwechslung, nicht? Wann bringst du ihn, Kristof?«
Ich saß im Wagen und hakte einen weiteren Punkt auf meiner mentalen Liste ab. Die Unterbringung wäre also geklärt, auch wenn ich Scuzzi in der wackeligen Verfassung von jemandem zurückgelassen hatte, der sich immer und immer wieder fragt, ob er es jetzt ist, oder seine Umgebung, die den Verstand verloren hat.
Der nächste Punkt war knifflig. Äußerst knifflig. Ich wußte mir einfach keinen Rat.
Konzentriertes Schnellfahren schwemmt mir Adrenalin ins Blut und Adrenalin hilft mir wie nichts Vergleichbares beim klaren Denken. Also fing ich an, die Gänge ein bißchen höher zu ziehen und dann noch ein bißchen höher und suchte mir spätere Bremspunkte als sonst und dann noch etwas spätere.
Was ich brauchte, händeringend, war ein Alibi. Charly kümmerte sich um einen Großteil der Logistik - den Wagen, Leitern, Stricke, Werkzeug, Straßenkarten. Falls man uns nicht in flagranti packte, brauchte er sich nicht weiter zu sorgen: Er hatte mit dem ganzen Fall Roselius nichts zu tun und die Tatsache, daß wir befreundet waren, hatte bis heute noch keinen Weg in irgendeine Form von Akte gefunden.
Ich mußte mich an diesem Nachmittag somit nicht soviel kümmern, dafür aber um so mehr sorgen. Denn bei mir würden sie zuerst klingeln, kaum daß der Alarm losgegangen war. Soviel würde ihnen der Herr Professor Doppeldoktor schon einflüstern.
Sich ein Alibi zu besorgen, das man nicht hat, heißt, jemanden finden zu müssen, der für einen lügt. Überzeugend und hartnäckig und selbst angesichts von Drohungen und getürkten Beweisen des Gegenteils und was sich die Bullen sonst noch so ausdenken. Scuzzi, der mir unter ähnlichen Umständen als erster eingefallen wäre, konnte ich aus naheliegenden Gründen vergessen, und Charly selbstredend auch. Es hat wenig Zweck, zu behaupten bei jemanden und mit jemandem zusammen die ganze Nacht ferngesehen zu haben, wenn schon der ebenso schlaflose wie krankhaft neugierige Opa ein Haus weiter eine komplett andere Version unter seinen Eid zu nehmen bereit ist. Wen, um alles in der Welt, könnte ich sonst noch fragen? Mit dem Vierten drin wechselte ich die Spur, um irgend so einen Lahmarsch in einem BMW hinter mich zu bringen, auch wenn die andere Spur die Gegenfahrbahn und die Mittellinie doppelt durchgezogen und das von behördlicher Seite als sinnvoll angesehene Höchsttempo an
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