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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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dieser Stelle auf 50 km/h begrenzt war. Wem, dachte ich, als ich aus dem Augenwinkel etwas hinter einem Brückenpfeiler heimtückisch versteckt Parkendes bemerkte, wem hatte ich, sagen wir mal, unter selbstlosem Einsatz des meinigen mal das Leben gerettet und somit für immer in meine Schuld gebracht? Ein Bullenmotorrad, heilige Scheiße. Niemand, dachte ich und scherte wieder ein. Niemand, und da konnte ich mein Hirn zermartern, wie ich wollte, niemand auf diesem Planeten schuldete mir genug für einen Meineid.
    Erstmal blieb ich auf dem Gas. Das machte jetzt auch keinen Unterschied mehr. Gerne wäre ich irgendwo abgebogen, in ein Gewirr von Seitenstraßen vielleicht, doch links floß die Ruhr und rechts der Straße erstreckte sich ein endloser Zaun. So war ich denn nicht weiter überrascht, das Blaulicht in meinen Rückspiegeln ziemlich rasch anwachsen zu sehen. Gottergeben setzte ich den Blinker und hielt an. Ich war entschlossen, mich herauszulavieren, koste es was es wolle. Ein stillgelegtes Auto oder eine eingezogene Fleppe wären im Augenblick so ziemlich das letzte, was ich gebrauchen konnte. Und Punkte in Flensburg das vorletzte. Der Bulle stoppte hinter mir. Die Sirene verstummte, das Blaulicht erlosch. Die Warnblinkanlage ging an. Mit leicht fahrigen Fingern kramte ich schon mal nach meinen Papieren. Noch hatte ich bis auf ein Verkehrsvergehen nichts verbrochen, alle wirklich kriminellen Aktivitäten des heutigen Tages steckten noch in der Vorbereitungsphase, und doch kam ich mir schon quasi im voraus ertappt vor.
    Eine kindische Nervosität hatte mich gepackt, als wäre dies meine allererste Polizeikontrolle und nicht die circa tausendste. Der Bulle stieg ab. Er ließ sich Zeit. Hatte ich eigentlich noch TÜV? Oh Gott, die Reifen, wenn er die Reifen ... Der Auspuff! Wo waren die verdammten Papiere? Ich suchte unter der Sonnenblende. Da waren sie nicht. Im Handschuhfach. Da waren sie auch nicht. >Hören Sie<, legte ich mir schon mal zurecht, >man hat mir vorhin den Wagen aufgebrochen und deshalb war ich unterwegs zur Wache, das anzeigen und darum kann ich auch meine Papiere nicht finden .< Ich griff nach der Jacke. Da ... Keine Papiere. Aber ... Meine Finger ertasteten einen kleinen Bilderrahmen . Moment mal, dachte ich. Der Bulle trat gegen einen meiner Reifen. Mußte ich mir das bieten lassen? Ja, entschied ich ohne Zögern.
    Moment mal. Jemand hatte meinen Wagen auf den Kopf gestellt, aber nichts geklaut und auch nichts mutwillig ruiniert. Damit war das dann gar kein Racheakt gewesen . Der Bulle tappte an die Scheibe meiner Türe, und ich drehte sie runter. Ich mußte unbedingt Bernhard noch mal fragen, wie die beiden Typen an meiner Wohnungstüre ausgesehen haben. Hätte ich gleich machen sollen, aber verdammt - für heute hatte ich den Kopf nun wirklich voll. Und jetzt noch die Polente am Arsch.
    »Hören Sie«, sagte ich hastig und, wie ich hoffte, vertrauenswürdig, »man hat mir vorhin den Wagen aufgebrochen und -« ich deutete auf das mich umgebende Chaos aus Zigarettenkippen, alten Briefumschlägen, Pommesschälchen, leeren Getränkedosen (Bier, samt und sonders und, wie mir noch während des Deutens aufging, nicht zu knapp), zerknüllten Camelschachteln und Kaffeebechern und was nicht noch alles, »- und völlig verwüstet. Eigentlich war ich unterwegs zu einer Wache, um das anzuzeigen, doch wo Sie jetzt einmal hier sind ...«
    Die hilflose Nummer. Es könnte klappen. Man steckt nicht drin. Einen Versuch wert war es allemal.
    »Also, Kristof«, sagte der Bulle, und ich fuhr herum, denn es war gar keiner, »es tut mir leid, dir das so sagen zu müssen, aber - verwüstet? Ich kann keinen großen Unterschied feststellen. Für mich sieht die Karre exakt so aus wie immer. Innen und außen.« Es war eine Sie. Eine Bullin. Jetzt, wo ich hinsah, war es unverkennbar. Ihre Lederkombi saß stramm, an allen wichtigen Stellen. Eine Motorradbullin, die mich mit Vornamen kannte. Und mich obendrein höchst vertraulich hinterm Ohr kraulte.
    Ich sah hoch. Ich sah in mein eigenes, leicht verzerrtes Spiegelbild mit einem runden, schwarzen Loch in der unteren Hälfte. Eine zweite Hand legte sich mir sachte unters Kinn und hob an. Das Loch in meinem Spiegelbild ging zu.
    »Hattest du mich nicht anrufen wollen?« fragte die Polizistin mit tiefer, leicht rauher Stimme, machte einen Schritt zurück, nahm den Helm mit dem getönten Visier ab und schüttelte ihre Locken frei. Ihre roten Locken.
    »Zora!« rief

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