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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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kein Limit zu kennen. Ich kratzte mich kurz am Kopf und sprach dann den einen Satz, den man in solchen Augenblicken von einem echten Freund wie mir erwarten darf: »Mensch, Charly, dann kann ich mich ja endlich an sie ranschmeißen!«
    Es gibt nur wenige Männer auf Erden, die diesem Blick begegnet sind und nicht die nächsten 14 Tage in einem Zustand, den die Ärzte als >ernst, aber stabil< bezeichnen auf der Intensivstation zugebracht haben.
    »Steig ein«, sagte ich beschwichtigend. »Du und ich, wir gehen jetzt auf ein Bier zu Onkel Bernhard.«
    Und genau das taten wir dann.
    Wir müssen anschließend noch zu Charly rausgefahren sein. Denn in seinem Schlafzimmer war ich gelandet, letzte Nacht. Warum? Und wie? Ich hoffte stark, gleich nicht die Carina im Vorgarten zu finden, am Ende einer kilometerlangen, wie anklagende blecherne Finger alle in ihre Richtung zeigenden Linie flachgelegter Verkehrsschilder.
    Fast Mittag! Scheiße. Ich krabbelte aus dem Bett, schlurfte in die Küche. Charly saß am Tisch, einen Notizblock vor sich, einen Stift in der Hand, nachdenklich. Man sah ihm die Strapazen der Nacht nicht an. Sieht man ihm nie.
    Eine halbvolle Kanne Kaffee stand neben dem Herd, ich fühlte mit der Hand, er war noch heiß, also goß ich mir einen ein, nahm einen Schluck, dann noch einen. Aah.
    Ich sagte: »Ich kann nur hoffen, wir hatten nichts miteinander, letzte Nacht.«
    Charly sah von seinen Notizen auf, grinste schwach.
    »Nein«, meinte er dann. »Da kann ich dich beruhigen. Ich hätt ja gerne gewollt, doch du warst leider nicht in der Verfassung.«
    »Wie sind wir hergekommen?« fragte ich, nicht ohne Sorge.
    »Taxi. Unvergeßlich. Du hast die ganze Fahrt über aus dem Fenster gehangen und die komplette rechte Wagenflanke vollgekotzt, und der Fahrer hat es nicht gemerkt.«
    »Was, hrm, schreibst du denn da?« Mir lag etwas an einem Themenwechsel. Was gestern war, sage ich immer gerne, ist nicht so wichtig, leben wir doch im Hier und Jetzt.
    »Ich mache eine Liste«, antwortete er mit einem Anflug von Ungeduld. »Was glaubst du? Ich notier schon mal all die Sachen, die wir brauchen, und versuche dann so etwas wie einen Zeitplan zu erstellen. Wenn du dann endlich soweit bist, fahren wir los, sehen uns die Örtlichkeiten mal genau an und legen eine oder zwei Routen fest. Und so weiter. Wir haben ein volles Programm, also mach hin! Schließlich soll es ja noch heute nacht über die Bühne gehen, oder etwa nicht?«
    Ich nickte ernst und nahm noch einen Schluck Kaffee, auch um diesem fragenden Blick zu entgehen, durchlitt ich doch einen klitzekleinen Moment der Orientierangslosigkeit. Kaffee schlürfend hielt ich mir den Becher vor die Nase, bis es lächerlich erscheinen mußte und trat dabei wie wild mein Gedächtnis in den Arsch.
    »Du weißt doch, wovon ich rede?« kam es bohrend.
    »Ja klar«, nickte ich eifrig, voller Erleichterung, weil es mir im letzten Moment wieder eingefallen war, und wurde gleichzeitig, aus exakt dem gleichen Grund, gebeutelt von einem Anfall darmtraktwringender Panik. Ich konnte nicht glauben, was mir da wieder eingefallen war. Oder wollte es nicht.
    »Ähem«, fischte ich nach einem Rettungsanker, »du weißt, wir hatten gestern was getrunken, und das ist ja nun wirklich einzig und allein meine Angelegenheit, also wenn du es dir, jetzt, im Lichte des Morgens, anders überlegt haben solltest .«
    »Ich hab dir mein Wort gegeben«, grunzte Charly, »besoffen oder nicht. Wir beide zieh'n das Ding jetzt durch, und damit basta!«
    Diesen Tonfall kannte ich zur Genüge.
    Als Präsident der Essener >Stormfuckers<, einer rund vier Dutzend Mann starken Gang zottelmähniger MotorradHooligans der kurz angebundenen, reizbaren Sorte, hat Charly eine Position inne, die niemand erreichen oder halten könnte ohne eine gewisse Bandbreite dessen, was wir hier mal >respekteinflößende Eigenschaften< nennen wollen. Er verdient sein Geld als Bouncer, als Geldeintreiber, als Bodyguard. Ich habe ihn Männer brechen sehen.
    Das meiner Ansicht nach aber Schrecklichste, Furchteinflößendste an Charly ist, daß er Wort hält. Grundsätzlich. Bedingungslos. Ob man will oder nicht.
    Ich ging und zog mich an. Wohl war mir nicht.
    Aargh, wenn ich ein bißchen was getrunken habe, kann ich furchtbar überzeugend sein! Schlimm. Und gestern muß ich wohl über mich selbst hinausgewachsen sein. Trotzdem - man muß doch morgens vielleicht noch mal alles einer nüchternen -ernüchterten - Betrachtung unterziehen und

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