Prickel
waren.
Eigentlich Quatsch, dachte ich dabei. Was ich vorhatte, war offizieller und relativ legaler Teil meiner Berufsausübung. >Relativ<, dachte ich dann noch, nickte mir eins und ließ den Motor an.
Heckenpennes stopfte, was ihm gerade in die Finger fiel, in eine große Reisetasche. Ich lehnte an der Wand, unter einer kleinen Leuchte, und blätterte Seite für Seite durch, was der Anstaltscomputer des Christopherus-Asylums an Daten über Victor Blandette gespeichert hatte. Es war weniger, als man meinen sollte.
Die erste Seite waren persönliche Daten, aus denen hervorging, daß er aus Strasbourg originierte, bald 62 werden würde, somit ein Jahr jünger war als seine aus Stuttgart stammende Gattin Eva-Maria, geborene Meggle, daß die beiden seit rund dreißig Jahren verheiratet waren, einen gemeinsamen Sohn namens Jean-Baptiste hatten und in Kaiserswerth wohnten.
Dann kam seine Personalakte: Beruflicher Werdegang, Besoldungsgruppe, so ein Gedöns.
Ich las nicht alles, überflog nur das, was mir wichtig erschien und das, was ich dabei herausfand, verfehlte es gänzlich, mich zu beeindrucken: So, wie es sich bei der ersten Durchsicht präsentierte, war seine Karriere weder sehr steil noch in irgendeiner Hinsicht spektakulär verlaufen. Abgesehen von seinem Lehrstuhl an der Düsseldorfer Uni hatte Victor Blandette praktisch sein ganzes Berufsleben im Christopherus-Asylum verbracht. Er hatte sich hochgedient, Schritt für Schritt hochgedient, bis hin zu dem pompösen Messingschild mit der Unterzeile >Anstaltsleiter<.
Schließlich folgte eine Auflistung seiner Publikationen. Und die war lang. Ellenlang. Jedes einzelne seiner Gutachten fand Erwähnung, alle seine Artikel für Fachzeitschriften (>Pyromanie - ein Hilferuf?<), seine wissenschaftlichen Essays, (>Isolation als Korrektiv<), seine insgesamt sieben Buchtitel (>Verrannt - Grenzen und Sackgassen der Forensik<, >Der geregelte Trieb - Destimulierende Psychopharmaka in der Langzeittherapie< usw.). Alles säuberlich aufgelistet und alles, aber auch wirklich alles deutlich und unmißverständlich mit dem Namen des Verfassers versehen, mit Hinweis auf das Copyright und jedesmal mit vollem Titel: Prof. Dr. Dr.Victor Blandette. Jedesmal.
Was waren das eigentlich für Titel? Doktorgrade gibt es ja für alles mögliche, angefangen von Bergbau über Landwirtschaft bis hin zur Bibelkunde. Ich blätterte noch mal zurück. Studiert hatte er in Strasbourg. Doch die Doktorwürde hatten sie ihm woanders verliehen. Es dauerte ein Weilchen, bis ich den entsprechenden Vermerk fand, bescheiden in einer Liste anderer Auszeichnungen und Mitgliedschaften in verschiedenen Vereinigungen untergebracht. Victor Blandette hatte einen DSc. einen Doctor of Science an der Columbus-University in Oakville, Massachusetts erworben und seinen MD, sprich Dr. med. von der George Washington Academy in Trinity, Arizona. Und das, ohne einen einzigen Vermerk in seinen Personalunterlagen über einen Studienaufenthalt in den Staaten.
Siehe da. Kaum in die Unterlagen gekniet und schon etwas zum Nachhaken entdeckt. Das gefiel mir. Sagen wir es so: Wer einen Boxer reizt, muß damit rechnen, ein paar auf die Nase zu kriegen. Wer sich mit einem Anwalt überwirft, wird seinen Briefkasten voll Einschreiben und Vorladungen finden. Und wer meint, sich einen Detektiv zum Feind machen zu müssen, braucht sich nicht zu wundern, wenn der hingeht und das macht, was er am besten kann: schnüffeln.
Ich unterstrich die Namen der beiden Institute.
»Kannst du deinen Kasten dazu bringen, mir Informationen über diese beiden Adressen zu besorgen?« fragte ich Heckenpennes, der mir das Blatt aus der Hand nahm und sich wortlos über seine Tastatur beugte.
»Das dürfte kein Problem sein«, meinte er. »Die haben garantiert eine Webseite.« Ich nickte, als habe ich genau den gleichen Gedanken gehabt. »Eine Internet-Adresse«, fügte Heckenpennes erklärend hinzu. Ich nickte wieder.
Klick, klick, klick und flacker, flacker und Liste rauf und Liste und runter und noch mehr klick, klick, klick und das beeindruckende Logo der Columbus-University füllte den Schirm, zusammen mit einem WELCOME und der freundlichen Aufforderung, doch in aller Ruhe über ihren elektronischen Campus zu spazieren.
»Was willst du wissen?« fragte Heckenpennes.
»Was das für ein Laden ist«, sagte ich. Wenig präzise, kritisierte ich mich selber. Der Umgang mit elektronischen Medien erfordert ein anders strukturiertes Denken als, sagen wir
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