Priester des Blutes
der Bretagne besäße einhundert Falken für seine Jagd; unser hiesiger Baron verfügte nur über wenige. Doch als ich noch ein Knabe war, spielte nichts davon für mich eine Rolle, da nur die Vögel einen großen Reiz besaßen. Sehr bald lernte ich, wie ein frisch geschlüpfter Falke aus dem Nest zu fangen war, ohne dass mir seine Mutter ihre scharfen Krallen und ihren scharfen Schnabel in den Körper bohrte. Viele von diesen Dingen lehrte mich mein Großvater. Er hatte während des Krieges die Vogelkunde und sein Wissen über die Falkenzucht gelernt. Auf Grund meines Interesses an der Falknerei nehme ich an, dass ich als Knabe nach einem hohen gesellschaftlichen Rang strebte, jenseits meiner natürlichen Stellung im Leben, denn arme Knaben waren schlechte Jäger, und die großen Raubvögel waren für den Adel bestimmt.
Ich hatte schon in früher Kindheit ein Auge auf den Hof des Barons geworfen - ich wollte den Horizont jenseits des Morastes besitzen, der mein Erbe sein sollte. Das Blut, das durch meine Adern floss, war das Blut eines rauflustigen, schmutzigen, frechen und selbstsüchtigen Knaben, das Erbe einer langen Ahnenreihe von Rauflustigen, Schmutzigen, Frechen und Selbstsüchtigen. Doch ich wollte mehr als den Mo rast und das Marschland und den Wald. Ich wollte alles, was die Welt zu bieten hatte, denn das sah ich täglich in dem großen Schloss am Berghang. Ich wollte
das Innere dieses Ortes kennen lernen. Ich wollte den Adel der Welt zu sehen bekommen, die Ritter und Hofdamen, die Palasse und die Küchen voller Fleisch und Brot.
Mein Großvater schürte diese meine Fantasien in gewissem Maße noch. Er war ein großer, spindeldürrer Mann, was für einen Bretonen ungewöhnlich war, mit Haaren, so weiß wie die Marsch, und einer Nase, die aussah wie der Schnabel eines Falken. Seine Augen waren so warm und leuchtend wie die Flammen einer Feuerstelle, und meine frühesten Erinnerungen an ihn handeln von seinem Schatten neben mir, während ich inmitten meiner Brüder schlief. Als ich ein wenig älter war, bat ich ihn, mir von der Vergangenheit zu erzählen und von den Zeiten, als der Große Wald die ganze Welt bedeckte - als Vögel noch sprechen konnten, als Bäume noch Schätze enthielten, und als der Mond selbst noch ein Hirsch war, der die nächtlichen Sterne durchkreuzte. In meiner Kindheit suchten ihn einige der älteren Leute auf Grund seiner Weisheit auf, denn er war der Älteste von ihnen und kannte sowohl die Lehre von Wald und Feld als auch die des Schlosses.
Oftmals er zählte er mir Geschichten, wenn ich mich abends zum Schlafen aufs Stroh legte, das im Winter vor Läusen nur so wimmelte, meine jüngeren Brüder eng an mich geschmiegt, aneinandergekuschelt wie Cherubim.
»Einst, vor vielen Jahren, besaßen wir Land, im Süden, unten an den großen Bergen«, erzählte uns mein Großvater. »Wir sind die Nachkommen einer überaus königlichen Familie, die durch ein Unglück ihre Macht verlor und das Meer überquerte, um dieses steinige Land zu erreichen. Eine schwangere Frau, deren Ehemann in einem anderen Land gestorben war, zog den Großvater des Großvaters meines Großvaters auf und hielt die Abstammung geheim. Aber früher einmal waren wir, unsere Vorfahren, bedeutender als selbst der Her zog. Ich kann euch versichern, wir waren sogar wichtiger als die Könige der Menschen. Und vielleicht werden
wir wieder einmal an Bedeutung gewinnen. Du, Aleric, du Knabe der Vögel und Hunde, wirst möglicherweise eines Tages über dieses Land herrschen. Du besitzt ein Talent für das, was der Adel begehrt, und selbst wenn du nur ein Kaninchen oder eine Ratte erlegst, erkenne ich deine Vorfahren in dir. Königliches Blut fließt durch deine Adern wie Gold unter deiner Haut.« Er griff dann manchmal nach meinem kleinen Arm und hielt ihn hoch, ins Kerzenlicht. »Siehst du das Blau dort, unter deiner Haut? Das ist die Farbe des Adels. Dafür sind wir bestimmt. Deine Bestimmung, das sind bedeutende Dinge, Enkelsohn.«
»Ich kann König werden?«
»König oder Prinz«, erwiderte er. »Du trägst die Blutlinie in dir. Sprichst du etwa nicht mit Vögeln und verstehst ihre Sprache?«
Ich lachte, als er das sagte, denn tatsächlich verstand ich die Sprache der Vögel; allerdings hatte das in keiner Weise etwas mit Magie zu tun. Mein Großvater nahm mich im Frühling meist mit hinaus, damit ich Eier aus den Nestern stahl und sie unter Verwendung einer Schlinge in meiner Achselhöhle aufbewahrte, um sie warm zu
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