Priester des Blutes
zu er kennen waren, als wir das Blut fortwischten. Der Leichnam war mit einer eigentümlichen Patina über zogen. Die Tätowierungen waren Symbole Einer Sprache, die Kiya gut verstand. Sie las rasch die Geschichte vor, die sie erzählten. »Sein Name ist Merod Al-Kamr, der der wahre König von Alkemara war. Zu Beginn seines Lebens war er ein Sklave auf den Feldern gewesen. Er hatte in einem fruchtbaren Tal gelebt. Dann hörte er als Erster Medhyas Stimme im Wind und fand ihr Fleisch, das als ein Kraut im Getreide wuchs. Doch es waren die Lektüre dessen, was hier ›Die Worte‹ genannt wird, und der Dieb stahl des ›Fleisches der Medhya‹, was ihn in das Reich der Unsterblichkeit brachte.«
»Wenn er unsterblich ist, warum …«, begann Ewen, indem er staunend die Abbildungen auf der Haut betrachtete.
»Er schläft«, erklärte Kiya. »Die Kugel hält ihn an Ort und Stelle, das Blut ernährt ihn. Aber er kann nicht aufwachen.«
Dann wandte sie sich mir zu. »Du musst ihm den Kiefer öffnen. Er wurde an Herz, Mund und Füßen gefesselt. Seine Flügel wurden ihm geraubt.«
»Unser Stamm hatte solche Flügel?«, fragte Ewen.
»Flügel - und noch andere Gaben. Ich habe gehört, dass sich einige in Wölfe verwandeln konnten, andere in Raben. Noch andere konnten als die Pest selbst in Dörfer eindringen und sich wie Feuer über menschlichem Fleisch ausbreiten, so dass sie das Blut von allen innerhalb einer einzigen Nacht trinken konnten. Alle Mächte der Hölle.« Kiya lachte, als sie dies aussprach, denn unter uns Vampyren gab es die Redewendung, dass der Himmel selbst die Hölle war, und die Hölle der Himmel.
Ewens Augen glänzten vor Aufregung. »Und wir werden all das besitzen?«
Ewens Begierde, diese uralte vampyrische Zauberei so bereitwillig anzunehmen, schien mir gefährlich. »Schätze müssen weise genutzt werden«, warnte ich. »Das, nach dem wir streben, sollte unsere Urteilskraft nicht trüben.«
Kiya grinste, wobei sie ihre glänzenden Zähne zeigte. »Du bist das Gewissen unserer Art, Falkner. Ich bin nach diesem Wissen hungrig - wie eine Wölfin. Meine Zeit kommt bald. Doch wenn wir die Geheimnisse entdecken können …«
»Denke an denjenigen, der uns beobachtet«, sagte ich warnend.
Ewen blickte uns beide an, als hätten wir ihm ein großes Geheimnis vorenthalten.
»Jemand anders befindet sich mit uns an diesem Ort«, erklärte ich. »Kein Vampyr würde andere Vampyre abschlachten, um uns die Trophäen und Szenen in den Kammern über uns vor zuführen. Pythia mag ja von diesem Reich gewusst haben, und sie mag ihm entkommen sein. Aber irgendeine andere Kraft steckt noch dahinter. Ich glaube, dass uns diese Person oder diese Personen während des Tages beobachtet haben, als wir schliefen.«
»Dann müssen wir unsere Geschicklichkeit steigern«, entgegnete er beunruhigt. Er griff nach der Metallkugel über dem Herzen des Priesters, doch es war, als ob ihn ein Schlag träfe - seine Hand wurde zurückgeschleudert und er stieß einen kurzen Schrei aus.
Kiya näherte sich der Kugel und roch daran. »Silber.«
»Der Mann, der diese Kugel anfertigte, kennt unsere Schwächen.«
Sie näherte sich der Kugel so weit, wie sie konnte, und erklärte: »Eine schmale Klingeführt von der Kugel bis zu seinem Herzen. Dies hält ihn davon ab aufzuwachen.«
»Wir müssen sie entfernen«, erwiderte ich. Ich zog das schwarze Schwert aus der Scheide und stieß die Kugel damit an.
»Du musst vorsichtig sein!«, mahnte sie. »Gleitet die Klinge
nicht sauber aus seinem Herzen heraus, so wird sie ihn vernichten.«
Ich steckte das Schwert wieder in die Scheide zurück.
»Die Nadel«, sagte Ewen. »Du solltest die Knochennadel benutzen. Und den Faden.«
Kiya dachte einen Augenblick lang nach, dann holte sie die Nadel aus ihrer Tasche. Der Haarfaden war nur wenige Zoll lang.
Sie zog den Faden zwischen den metallenen Wölbungen der Kugel hindurch, bis er auf der anderen Seite wieder herauskam.
Obwohl ihr das Silber einige Schmerzen zu bereiten schien, gelang es ihr doch, das Ende des Fadens zu ergreifen und wieder nach oben zu ziehen. Nachdem sie damit eine Schlinge gebildet hatte, knotete sie den Fa den. Ewen hielt die Schlaufe mit den Fingern fest. Dann legte sich Kiya neben den reglosen Körper auf den Boden und drückte sie unter Gebrauch der langen, schmalen Nadel in die fast verheilte Wunde hinein, in die die Klinge sorgfältig getrieben worden war. Es glückte ihr, die Wunde zu öffnen, die trocken war -
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