Priester des Blutes
ich aus einem Schlaf erwachte, der mir eher wie der Tod erschien, denn es hatte einfach Leere geherrscht, so als hätte ich mich nur wenige Augenblicke zuvor zum Schlafen in mein Grab gelegt. Die Gerüche, die mich empfingen, waren das Aroma von Erde und einem übelriechenden Äther, als ob ein Tier in der Nähe gestorben wäre. Vielleicht war ich dieses Tier gewesen. Bevor ich die Augen öffnete, hatte ich das Gefühl, als starrte mich jemand an. Als ich jedoch hinsah, war dort nichts, abgesehen von dem Grab meiner Wiedergeburt, das mich umgab. Ich besaß wieder Kraft - das Blut hatte sie zurückgebracht. In meinem Fleisch fühlte ich eine große Lebens kraft, und ich sehnte mich danach, meinen Ruheplatz zu verlassen. Ich kletterte die Wand hinauf und über den Rand des Grabes, wo ich eine neue Welt erblickte.
Große gelbe Steinsäulen durchzogen die geräumige Kammer und reichten bis zur Decke, die sich zwei bis drei Klafter über meinem Kopf in die Höhe erstreckte. Fensterschlitze ließen das rosaund purpurfarbene Licht der letzten Sonnenstrahlen herein, die wie ein Damoklesschwert, das über der Dunkelheit meines Grabes baumelte, am Himmel verharrten.
Meine Augen passten sich der Umgebung allmählich an, während die Dunkelheit zunahm. Alles wurde für mich wieder hell. Ich sah nun wie eine Katze: um so besser, je weniger Licht zu sehen ist. Die Erde selbst ver fügte über eine gewisse Leuchtkraft und war wunderbar anzusehen. Es schien mir, als wäre die Menschheit zu schwach, um das Licht zu sehen, das im Leben selbst so reichlich vorhanden war. Die Bewegungen der Würmer, der Läuse, diejenigen der kleinsten Ameisen, des winzigsten Pilzes - alles
sandte dünne Strahlen eines gelben Lichtes aus, so dass es sich für mich anfühlte, als wären Fackeln in der Erde angezündet worden. Ich spürte, wie sich meine Sehkraft vergrößerte, und bald sah ich noch mehr: die Steine der Mau er, die fast hundert Klafter von mir entfernt war, die nächsten Gräber um mich herum. Ich konnte fühlen, dass sich andere darin befanden, die, nun, da die Nacht angebrochen war, ebenfalls erwachten.
Der Gedanke, dass ich ein Monster unter Monstern war, versetzte mich nur ganz leicht in Panik.
Noch trug ich keine Kleidung, und ich war überrascht zu bemerken, dass ich wegen meiner Nacktheit keine Befangenheit verspürte, wie ich es als sterblicher Mann getan hatte. Zu Lebzeiten hatte ich mich ohne irgendeine Art von Kittel geschämt, doch nun bekam ich zum ersten Mal das Gefühl, das Fleisch selbst wäre Kleidung genug. Ich blickte an meinem Körper herab. Er war nun weißer als zuvor und erschien mir wie Alabaster. Ich streckte die Arme vor mir aus und fühlte am Handgelenk nach einem Puls - doch es gab keinen. Dennoch hatte ich das Gefühl, lebendig zu sein. Ich spürte einen Herzschlag in meiner Brust; das Blut wurde also noch durch den Körper gepumpt. Es war zwar unvorstellbar, doch in diesem Leib, der weder tot noch lebendig war, existierte Leben. Ich spürte die Regungen der Natur selbst, wie es oftmals nach dem Aufwachen der Fall war, und ich wunderte mich über diese neue Existenz, diese Verdammnis. Warum sollte sie existieren, wenn sie wahrhaft böse war? Warum sollte ich mich noch immer jung und sogar glücklich fühlen, nachdem der Tod mich geholt hatte?
Welcher Wahnsinn hielt mich in seinen Klauen, dass ich nun lachte, als ich mich erhob, und mir nichts anderes wünschte als etwas Süßes und Warmes zum Trinken?
Ich hatte befürchtet, gänzlich zu einem Dämon geworden zu sein, so dass sich mein Bedürfnis nach menschlichem Blut gegen
mich selbst wenden würde. Doch dieses Erwachen gab mir ein Gefühl der reinen Freude. Ja, ich wusste, ich würde in dieser Nacht von einem Mann oder einer Frau trinken müssen. Ja, dies würde dann möglicherweise den Tod dieser Person bedeuten. Aber was für eine Rolle spielte das? Was bedeutete der Tod überhaupt? Er hatte mich geholt, aber gleichzeitig auch zurückgelassen. Ich empfand ein Gefühl der Freiheit, das kein lebender Mensch jemals empfinden konnte. Daher liebte ich die Menschheit.
Meine Gedanken rasten, während ich mich ausstreckte. Würde ich einen Jüngling zur Strecke bringen, wie es ein Löwe tat, der einer jungen Gazelle hinterherjagte? Würde ich eine schöne Frau dazu bringen, dass sie mir ihr Blut zum Geschenk machte, im Austausch gegen eine Nacht der Leidenschaft? Würde ich einen jungen Mann packen, viel leicht einen weiteren Soldaten, mit kräftigen
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