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Priester und Detektiv

Priester und Detektiv

Titel: Priester und Detektiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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modernen Religionswissenschaft zu heißen pflegt. Denn wirklich waren sie auf dem Scheitel eines Teiles Londons, der beinahe ebenso steil, wenn nicht minder malerisch abfällt wie Edinburg. Terrasse erhob sich über Terrasse, und der Gebäudeblock, dem sie zustrebten, stieg vom Abendsonnengold gerötet in fast ägyptischer Höhe über alle anderen empor. Der Wechsel, als sie um die Ecke schwenkten und in das Häuserhalbrund einbogen, das als Himalaja Mansions bekannt ist, war so unvermittelt wie das Öffnen eines Fensters, denn der London überragende Haufen Mietshäuser lag da wie über einem schiefergrünen See. Dem Häuserblock gegenüber, auf der anderen Seite des Kieshalbrundes, lag eine gebüschbewachsene Einfriedung, mehr eine Hecke oder ein Damm, als ein Garten, und etwas darunter floß ein künstlich angelegter Wasserstreifen, eine Art Kanal, gleichsam der Wallgraben jener verborgenen Festung. Als das Auto um den Platz herumhuschte, ließ es an der Ecke den einsamen Stand eines Kastanienbraters hinter sich und gerade drüben, am anderen Ende des Bogens, konnte Angus die langsam wandelnde, verschwommene Gestalt eines blauen Polizisten erkennen. Dies waren die einzigen menschlichen Wesen in dieser hohen, vorstädtischen Einsamkeit; doch lag ein unklares Empfinden darin, als offenbare sich hier die stumme Poesie Londons. Sie kamen ihnen vor wie die Personen eines Märchens.
    Das kleine Fahrzeug schoß wie aus der Kanone auf das rechte Haus zu und entlud sich seines Besitzers, als wäre dieser das Geschütz. Er erkundigte sich sofort bei einem glänzend gekleideten Torwart und einem untersetzten Hausbesorger in Hemdärmeln, oh irgend jemand oder irgend etwas seine Wohnung aufgesucht habe. Er erhielt die Versicherung, daß seit seiner letzten Nachfrage niemand und nichts seitens beider Angestellter bemerkt worden sei, worauf er und der etwas verblüffte Angus wie eine Rakete im Fahrstuhl in das oberste Stockwerk emporgeschossen wurden.
    »Kommen Sie einen Augenblick herein,« sagte Smythe atemlos. »Ich will Ihnen Welkins Briefe zeigen. Dann können Sie um die Ecke laufen und Ihren Freund holen.« Er drückte auf einen in der Wand verborgenen Knopf, und die Türe öffnete sich von selbst.
    Sie führte in ein langes, geräumiges Vorgemach, dessen einzige auffallende Ausstattung in Reihen halb lebensgroßer mechanischer Figuren bestand, die wie Schneiderpuppen zu beiden Seiten aufgestellt waren. Gleich Schneiderpuppen waren sie kopflos und wie Schneiderpuppen hatten sie einen hübschen, unnützen Buckel zwischen den Schultern und vorne einen hühnerbrustartigen Auswuchs, aber abgesehen davon glichen sie nicht mehr einer menschlichen Gestalt, als irgendein etwa mannshoher Automat auf einem Bahnhofe. Sie besaßen zwei große armartige Haken, um Servierbretter zu tragen und waren hellgrün, hochrot oder, zum Zwecke der Unterscheidung, schwarz angestrichen; im übrigen waren es nur Automaten, und niemand würde sich weiter nach ihnen umgesehen haben. Im vorliegenden Falle wenigstens tat dies niemand. Denn zwischen den beiden Reihen dieser Dienstbotenpuppen lag etwas Beachtenswerteres als alle Mechanismen der Welt. Es war ein zerknittertes Stück weißen Papiers mit roter Tinte bekritzelt und wurde, sowie sich die Türe öffnete, von dem behenden Erfinder ergriffen. Er reichte es ohne ein Wort Angus hin. Die rote Tinte darauf war nicht einmal trocken und der Inhalt lautete: »Wenn Sie ihr heute einen Besuch abgestattet haben, bringe ich Sie um.«
    Ein kurzes Schweigen, dann sagte Isidor Smythe ruhig: »Wünschen Sie ein wenig Whisky? Ich glaube, mir würde er guttun.«
    »Danke, ich wünsche ein wenig Flambeau,« erwiderte Angus düster. »Diese Geschichte scheint mir ernst werden zu wollen. Ich gehe ihn sofort holen.«
    »So ist's recht,« versetzte der andere mit bewundernswertem Gleichmut. »Bringen Sie ihn so schnell als möglich her.«
    Als Angus die Türe hinter sich schloß, sah er Smythe einen Knopf drücken, und eine der mechanischen Figuren verließ ihren Platz, glitt eine Furche im Boden entlang, ein Servierbrett mit Sodaflasche und Wein tragend. Es wirkte fast unheimlich, den kleinen Mann allein mit diesen toten Dienern zu lassen, die, sobald sich die Türe schloß, lebendig wurden.
    Sechs Stufen unterhalb von Smythes Treppenabsatz war der Mann in Hemdärmeln mit einem Eimer beschäftigt. Angus blieb stehen und nahm ihm, indem er ihm ein gutes Trinkgeld in Aussicht stellte, das Versprechen ab, auf dieser

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