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PRIM: Netzpiraten (German Edition)

PRIM: Netzpiraten (German Edition)

Titel: PRIM: Netzpiraten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietrich Enss
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ihren Kopf mit der Seite an seine Brust. „Ich verstehe. Deshalb küsst du mich nur in Fahrstühlen, da schaut niemand zu. Wie ist es in deinem Appartement?“
    Sie bewegte sich auf dünnem Eis, konnte dem aber irgendwie nicht widerstehen. Ihre Frage war eine Einladung. Und sie tat nichts, um ihn von einer weiteren Annäherung abzuhalten. Sie musste sich anstrengen, einen kühlen Kopf zu bewahren. Im Dossier stand nichts über die Fotos. Natürlich würden sie mit Zeitangaben gespeichert. Beim Ankommen und beim Weggehen. Sie fragte sich, ob wohl auch die Mieter verlangen konnten, die Fotos und Videoclips zu sehen. Oder ob sie nur den Einbruchsschutz verbessern sollten.
    „Mein Appartement ist total verwanzt. Wir müssen alles im Fahrstuhl machen. Vielleicht, wenn wir nach dem Gläschen Wein wieder nach unten fahren.“ Er schob seine Hand zwischen ihrer Rucksacktasche und dem Kleid hindurch und drückte sie mit einem Arm an sich. Alice sträubte sich nur sehr kurz dagegen. Er musste fühlen, dass sie keinen BH trug. Aber das hatte er ja schon viel früher bemerkt.
    Der Korridor bestand aus zwei geraden, recht breiten Gängen, einem längeren und einem kürzeren, die im rechten Winkel angeordnet und mit hellorangem Teppichboden ausgelegt waren. Sie waren gut ausgeleuchtet, so dass man sich wie an einem sonnenbeschienenen Sandstrand vorkam. Die Fahrstühle lagen am längeren Teil neben der Ecke. Es gab nicht viele Türen. Die Appartements waren demnach recht groß. Die Nummer 18.4 lag am Ende des Korridors. Alice konnte keine Kamera entdecken, aber die ließen sich heutzutage fast perfekt verbergen.
    Alice hatte erwartet, dass Talburn sein Schlüsselbund hervorholen müsste. Aber dann sah sie das neben der Tür in die Wand eingelassene Tastenfeld des elektronischen Türschlosses. Er stellte sich dicht davor, offenbar um der unsichtbaren Videokamera das Sichtfeld zu nehmen.
    „Eins, null, sechs, eins“, sagte er flüsternd während er langsam die entsprechenden Tasten drückte, als ob er ihr helfen wollte, sich die Ziffernfolge einzuprägen. „Leicht zu merken, ich verrate es nicht jeder. Und Timothy oder sein Kollege lassen dich unten herein, jetzt wo ich dich vorgestellt habe und sie ein Foto von dir haben.“
    Sie wunderte sich, warum 1061 leicht zu merken sein sollte, dachte aber mehr über seine Bemerkungen über zukünftige Besuche nach. Dazu würde es nicht kommen, und sie war nicht gerade froh darüber. Die Tür sprang auf, und er ließ sie vorangehen. Es war dunkel in der Diele, lediglich das Licht vom Korridor gab ein wenig Helligkeit. Sie schrak vor einer unbekannten Bewegung zurück, aber da hatte er bereits das Licht angeschaltet, und sie sah eine ganze Reihe Flugzeugmodelle, die an der Decke aufgehängt waren, und von denen sich einige infolge des Luftzugs langsam drehten.
    „Die Wohnung eines kleinen Jungen“, war ihr Kommentar. „Und ich dachte, du baust nur Boote.“
    „Ich bin ein kleiner Junge, und ich baue eigentlich nur Boote“, antwortete er sehr rasch, fast als ob ihm die doch sehr professionell und naturgetreu aussehenden Flugzeugmodelle peinlich wären. „Das heißt: Ich baute sie. Habe seit Jahren keine neuen mehr gebaut. Ich habe dir ja schon erzählt, dass ich einmal einen Preis gewonnen habe. Das Modell steht hier.“
    Er hatte inzwischen die Tür am Ende der Diele zu einem großen Zimmer aufgestoßen, das offenbar eine Mischung aus Wohn- und Arbeitszimmer eines Junggesellen war. Helle Möbel im Kontrast zu zwei großen Drucken mit gegenstandsloser Kunst in kräftigen Farben an den Wänden. Einladende Unordnung auf den Tischen und Ablageflächen. Alice ließ ihre Rucksacktasche auf den Parkettboden gleiten und folgte ihm weiter in das Zimmer. An der rechten Seite sah sie eine offene Tür zur Küche. Eine Doppeltür führte zum Balkon, der durch die Scheiben dieser Tür und eines der Fensters zu sehen war. Dahinter erhob sich die nächtliche Kulisse Manhattans.
    Talburn zeigte auf einen Kommodenschrank mit zwei Vitrinenfächern und vielen Schiebladen und zwei darauf stehende Schiffsmodelle. „Das linke hier, das ist es.“
    Beide Modelle unterschieden sich in Alices Beurteilung kaum voneinander. Ein Fachmann sah das sicherlich anders. Sie stellte Talburn ein paar Fragen darüber und bemühte sich, nicht zu verraten, dass sie das Modell und die Geschichte der Preisvergabe bereits kannte. Aber sie stellte bewusst nicht die Frage, die ihr eigentlich auf der Zunge lag: ob er denn gar

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