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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Minuten den einen entlanggeschaut hätte und nun die andere entlangstarrte.
    Bei genauerem Nachdenken kam er zu dem Schluss, dass die beiden nichts miteinander gemein hatten, außer dass sie beide in die gleiche Richtung zur Themse verliefen und beide stark zugesetzt und aufgestaut waren und viel Scheiße enthielten.
    Er kannte Isaac seit fünfzig Jahren und wusste daher, dass dieser sich von dem klaren, kühlen, angenehmen Anblick der Water Lane abwenden und in das metallische Brodeln der Mint Street hineinmarschieren würde. Das tat er denn auch, und Daniel begnügte sich damit, in seinem Kielwasser zu folgen. Er war nie tiefer als ein paar Ellen in die Münze eingedrungen; er war nie weiter als bis zu dem Kontor gekommen, das gleich hinter dem Eingang auf der linken Seite der Gasse, eine Treppe hoch, lag. Natürlich rauschte Isaac daran vorbei und ging weiter.
    Der Tower von London war im Wesentlichen viereckig, doch machte ihn, wenn man pedantisch sein wollte, ein Knick in der Nordseite zum Fünfeck. Der Streifen zwischen Innen- und Außenmauer verlief rundherum. Die Südseite, entlang dem Fluss, bildete die Water Lane; doch alles andere war Mint Street, was bedeutete, dass die Münze den Tower auf drei Seiten umschloss (genau genommen auf vier, wenn man den Knick in der Nordseite mitberücksichtigte).
    So seltsam es in einer Stadt mit nur einer einzigen Straße erscheinen mochte, man konnte sich leicht verirren. Der Blick die Straße entlang wurde von zehn verschiedenen Bastionen verstellt, die sich aus der Innenmauer vorwölbten, weshalb man nie sehr weit sehen konnte. Daniel war sich natürlich darüber im Klaren, dass er sich in einem hufeisenförmigen Kontinuum befand, doch sobald er die Übersicht über die Türme verlor, nützte ihm das praktisch wenig. Indem er getreulich in die eine oder die andere Richtung ging, würde er irgendwann an ein äußerstes Ende des Hufeisens gelangen und auf das eine oder das andere Ende der Water Lane hinaustreten. Doch die Mint Street war eine Viertelmeile lang, was für einen Londoner ebenso gut die Entfernung zwischen Oslo und Rom hätte sein können. Eine solche Strecke reichte aus, um zwischen dem Fleet Ditch und der Royal Society oder zwischen den Parlamentsgebäuden in Westminster und den Schindangern von Southwark zu unterscheiden. Nachdem er Isaac also an ein paar jener Bastionen vorbei gefolgt und um ein, zwei Ecken gegangen war, kam sich Daniel vor, als hätte er sich tief in eine Stadt gewagt, die so fremdländisch war wie Algier oder Nagasaki.
    Nach zweihundert Fuß verengte das stattliche Halbrund des Beauchamp Tower den Weg. Ihm genau gegenüber lagen, an die Außenmauer gedrängt, die langen Kasematten, wo in großen Öfen Gold und Silber geschmolzen wurden. In Nordrichtung weitergehend, passierten sie gleich darauf weitere Kasematten, welche die Münzschläger enthielten. Dann bogen sie um die erste Ecke, eine weitere Engstelle zwischen der Bastion des Devereux Tower und einer niedrigen, klotzigen Befestigung im Scheitelpunkt der Außenmauer, die Legge’s Mount hieß. Beide waren sehr stark ausgelegt, und beide waren nach wie vor von den Black Torrent Guards bemannt, um einem Beschuss vonseiten jener ewigen Bedrohung, London, zu widerstehen, die an dieser Stelle sehr nahe an den Tower heranrückte.
    Isaac verlangsamte seinen Schritt und sah Daniel an, als wollte er etwas sagen.
    Daniel warf einen neugierigen Blick in den Abschnitt der Mint Street, der gerade ins Blickfeld getreten war. Er war seltsam enttäuscht festzustellen, dass es dort ruhig und fast friedlich zuging. Er hatte gehofft, dass die Münze, je tiefer er in sie vordrang, wie das Inferno nach Dante nur immer höllenähnlicher werden und dass sie sich in ihren tiefsten Tiefen als eine Schmiede von ungeheurer Hitze erweisen würde, in der Isaac Blei in Gold verwandelte. Doch von dieser Ecke aus wurde deutlich, dass der Höhepunkt bereits erreicht war – dass alles Große, Heiße und Laute in der Nähe des Eingangs lag (was, wie er einräumen musste, aus logistischer Sicht vernünftig war) und dass dieser nördliche Abschnitt als ruhiges Wohnviertel gelten konnte. Er war etwa so höllenähnlich wie der Bloomsbury Square. Was nur wieder einmal bewies, dass Engländer überall wohnen konnten. Wenn man einen Engländer in die Hölle verbannte, würde er dort ein Petunienbeet pflanzen und auf dem Schwefel ein hübsches Bowling-Grün anlegen.
    Isaac sagte nun etwas, dessen genauer Wortlaut kaum eine

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