Principia
eine Gratis-Flussfahrt im Mondenschein zum Tower von London. Sie war seltsam idyllisch. Am besten daran war, dass Charles White und sein Peloton wilder Gentlemen nicht daran teilnahmen; denn nach einem kurzen Gespräch mit Mr. Baynes hatten sie sich wie ein Schwarm Krähen an Deck gesammelt, waren wieder in die Ruderboote gestiegen und hatten sich zu den Black Friars Stairs aufgemacht.
Selbst die Fahrt unter der London Bridge hindurch, die mit einem kleineren Boot stets einer Nahtoderfahrung gleichkam – ein Ereignis, wie es ein Gentleman zu Hause niederschreiben würde, in der Erwartung, dass die Leute gern davon lesen würden -, verlief ereignislos. Sie feuerten ein Drehgeschütz ab, um den Zugbrückenwärter in Nonsuch House zu wecken und hissten ein Banner mit einem silbernen Windhund. Er hielt den Verkehr auf der London Bridge an und wand den Brückenbogen für sie hoch, und der Kapitän der Schaluppe überließ es der Strömung, sie in den Pool hineinzubefördern.
Eine halbe Stunde später kletterten sie beim Tower Wharf im Licht von Fackeln einen nasskalten Treppenaufgang hinauf. Während Daniel die Treppe erstieg und sein Kopf sich über die Ebene des Wharf erhob, tat sich der ganze Tower-Komplex vor und über ihm auf wie ein riesiges schwarzes Buch, in Feuer und Rauch auf tiefschwarze Seiten geschrieben.
Fast unmittelbar vor ihm auf dem Anleger erhob sich ein Gewirr kleiner, mit einer Palisade umzäunter Gebäude. Ein Angehöriger der Wharf Guard, der Nachtwache stand, hatte die kleine Pforte geöffnet. Daniel durchschritt sie mit mehreren Menschen und betrat eines der kleineren Gebäude, irritiert von dem Gefühl, in die Wohnung eines anderen einzudringen. Das war auch der Fall, da diese Wharf-Wohnung das Zuhause (mindestens) eines Pförtners, Marketenders und Schankwirts und ihrer diversen Familienmitglieder zu sein schien. Doch nach wenigen Schritten spürte er Holzbalken unter den Füßen, und ihm war, als seien sie in einen anderen Raum gelangt: Sie waren wieder im Freien, auf einem Fußweg aus Holz, der ein gerades Stück stillen Wassers überspannte. Das musste der Wassergraben des Towers sein, und sie befanden sich wohl auf einer Zugbrücke.
Die Bohlen führten zu einer kleinen Öffnung in der senkrecht aufragenden Außenwand des Towers. Zur Rechten schob sich eine keilförmige Bastion aus ebendieser Wand, aber sie enthielt keine Eingänge: nur Zinnen und Mord-Löcher, aus denen die Verteidiger tödliche Aufmerksamkeiten auf Leute herabregnen lassen konnten, die versuchten, über die Brücke zu kommen. An diesem Abend aber war die Zugbrücke herabgelassen, das Fallgatter war hochgezogen, und die Öffnungen des Towers spien keine Geschosse. Die Gruppe verlangsamte ihren Schritt, um im Gänsemarsch durch eine Art Nebentür in den Unterbau des Byward Tower einzutreten.
Zu ihrer Linken befand sich ein größeres Tor, das zu dem Fußweg führte, der als Hauptzufahrt zum Tower von der Landseite her diente, doch es war bereits für die Nacht geschlossen und verriegelt. Und auch die Nebentür wurde, nachdem der Letzte ihrer Gruppe über die Zugbrücke gekommen war, von einem Burschen mittleren Alters in Nachtmütze und Pantoffeln geschlossen und verriegelt. Daniel hatte genügend Tower-Folklore im Kopf gespeichert, um zu vermuten, dass es sich um den Gentleman Porter handelte und dass er wohl in einer der Wohnungen lebte, die in dieser Ecke des Komplexes zahlreich vorhanden waren. Also waren sie für die Nacht eingeschlossen.
Bei geschlossenen Außentoren war das Erdgeschoss des Byward Tower eine Gruft. Isaac und Daniel bewegten sich instinktiv daraus hervor in das offene Kreuz, wo die Mint Street auf die Water Lane traf. Dort verweilten sie einen Moment, um zuzusehen, wie Mr. Baynes in irgendeinen Kerker abgeführt wurde.
Jeder, der den Tower von London betrat, wie sie es gerade getan hatten, und damit rechnete, ein Portal zu passieren und sich in einem offenen Burghof wiederzufinden, wäre enttäuscht. Byward Tower, den sie gerade durchschritten hatten, war der Eckstein der äußeren Verteidigungsanlagen. Er gewährte lediglich Zugang zu einem schmalen Gürtel von Land, der die inneren Verteidigungsanlagen umgab, welche viel höher und älter waren.
Doch selbst ein Experte für mittelalterliche Befestigungen wäre verblüfft von dem, was Daniel und Isaac von hier aus sahen und was in keiner Weise einer Verteidigungsanlage ähnelte. Vielmehr schienen sie am Kreuzungspunkt zweier belebter Straßen
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