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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Glücklicherweise war, wie auf allen gut geführten Schiffen der Brauch, die Achterhütte für Offiziere reserviert; und Fellows der Royal Society billigte man ehrenhalber diesen Status zu. Sobald er sich den Aufgang zum Achterdeck hinaufgeschleppt hatte, fand Daniel genügend Bewegungsfreiheit und reichlich Platz an der Reling, um frische Luft zu schnappen, zu urinieren und das baumwollartige Zeug auszuspucken, das, während er geschlafen hatte, in seinem Mund gewachsen war. Ein Schiffsjunge, vielleicht beunruhigt von der Flüssigkeitsmenge, welche dieser schon geschrumpfte alte Knacker in die Themse absonderte, brachte ihm sogar eine Kelle Wasser.
    Und irgendwann erschien Isaac neben ihm und machte seinen Tag komplett.
    »Er hat bereitwillig geredet«, wiederholte Daniel, bemüht, sich sein Entsetzen nicht anmerken zu lassen.
    »O ja, denn man hat ihn vor die Wahl gestellt: bis ans Ende seiner Tage Einkerkerung und Befragung im Tower zu erleiden oder zu sagen, was er weiß, und nach Russland retourniert zu werden. Er hat sich für Russland entschieden.«
    »Wenn du es so formulierst, tut es jeder, der unter der Folter spricht, bereitwillig«, meinte Daniel. Normalerweise hätte er Isaac nicht so schnell gepiesackt, aber er war in erbärmlichem Zustand und hatte Isaac am Vortag außerdem eine große Gunst erwiesen.
    Isaac erwiderte: »Ich habe den Moskowiter auf seinen eigenen Füßen in seine Zelle zurückkehren sehen, als es vorbei war. Was auch immer man mit ihm gemacht hat, es war weniger heftig – wenn auch vielleicht unerträglicher – als die Prügel, welche die Soldaten dort jeden Tag für Bagatellvergehen bekommen. Mr. White kennt Methoden, sich die Mitarbeit von Gefangenen zu sichern, ohne dauerhafte Schäden zuzufügen.«
    »Der Mann wird also mit beiden Ohren nach Moskau zurückkehren?«
    »Mit Ohren, Augen, Bart und sämtlichen Gliedmaßen, mit denen er gekommen ist.«
    Daniel hatte sich Isaac noch nicht zugewandt, um ihm ins Gesicht zu sehen. Stattdessen schaute er nach achtern, auf zwei Flussboote mit flachem Boden, die in ihrem Kielwasser folgten. Sie waren hauptsächlich mit Pferden und dem entsprechenden Zubehör wie etwa Sätteln, Zaumzeug und Stallburschen beladen. Kein Wunder, dass es gedauert hatte, bis sie endlich hatten aufbrechen können.
    Während seiner Unterhaltung mit Isaac hatte die Schaluppe einen Zickzack-Kurs im Fluss beschrieben und ihren Vorsprung vor den Pferde-Kähnen vergrößert; nun fuhren sie in weitem Bogen um eine große, sumpfige Ausbuchtung am Südufer und erblickten einen zwei Meilen flussabwärts gelegenen Ort, wo hellgrünes Hügelland mit weißen Kalkfelsen das rechte Ufer säumte und einer Siedlung Halt bot. Das, wusste er, musste Gravesend sein. Die Seeleute, welche die Schaluppe bemannten – sehr spärlich über die Masse der Soldaten verstreut -, wurden nun wachsamer. Die lakonischen, unverständlichen Befehle des Kapitäns kamen häufiger. Sie würden hier anlegen. Ihnen blieb auch kaum eine andere Wahl, denn jenseits von Gravesend gab es bis zur Nordsee nichts als Schlamm; und was hatte es für einen Sinn, eine Menge Pferde den Fluss hinabzubefördern, um sie dann zu ersäufen?
    »Was meinst du, was ein Russe hier mit Jack dem Falschmünzer zu schaffen hatte?«, fragte Daniel.
    »Jack genießt die großzügige Unterstützung irgendeines ausländischen Potentaten, höchstwahrscheinlich des Königs von Frankreich«, sagte Isaac. »Denn mach dir nichts vor, der Handel Englands wird von aller Welt beneidet. Die Könige, die ihr Reich nicht auf unser Niveau heben können, bilden sich ein, sie könnten uns auf das ihre herabziehen, indem sie unser Münzwesen verderben. Wenn der König von Frankreich solche Ambitionen hegen kann, so kann das auch der Zar aller Reußen.«
    »Du glaubst, der Moskowiter ist ein zaristischer Agent?«
    »Das ist die plausibelste Erklärung.«
    »Du hast gesagt, er hat einen Bart?«
    »Richtig, einen langen und üppigen.«
    »Wie viele Jahre Wachstum, was meinst du?«
    »Nass gemacht und langgezogen würde er ihm bis unter den Nabel reichen.«
    »Für mich hört sich das nach einem Raskolnik an«, sagte Daniel.
    »Was ist ein Raskolnik?«
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Aber sie hassen den Zaren. Und das liegt unter anderem daran, dass er verfügt hat, dass sie sich ihre langen, üppigen Bärte abrasieren müssen.«
    Dies brachte Isaac eine Zeitlang zum Schweigen, indem es ihn dazu zwang, umfangreiche Neukalkulationen vorzunehmen.

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