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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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mit beiden Händen hinter seinen Kopf und tastete nach dem Claymore. Er bekam es zu fassen und zog es genau in dem Augenblick aus dem Rückenholster, in dem die Tür aufschwang. Als Erstes tauchte, von weißen Händen gehalten, eine Muskete auf.
    MacIan ließ das Schwert so rasch herabsausen, wie es seine Arme vermochten. Aber das war nichts im Vergleich mit der Geschwindigkeit, welche die Spitze der vier Fuß langen Klinge gewann, die sich so schnell bewegte, dass sie ein bösartiges Zischen wie von einem Peitschenriemen von sich gab. Irgendetwas Unschönes passierte, und die Muskete fiel vor der Tür auf den Boden. MacIans Klinge hatte den Unterarm des Mannes durchschnitten und war schräg auf die Türkante getroffen, von der sie einen scharfen Keil abspaltete, ehe ein Nagel sie jäh aufhielt. Der Soldat war im Innern verschwunden, ohne dass MacIan je sein Gesicht zu sehen bekam. Plötzlich wurde ihm der Griff des Claymore fast aus der Hand gerissen, als die Tür zugezogen wurde. Die Spitze der Klinge traf den Türrahmen und wurde mit solcher Heftigkeit herausgeschlagen, dass die von vorn bis hinten erzitternde Waffe in die Luft zurückfederte. MacIan bekam sie an der Parierstange zu fassen. Er hörte, wie auf der Innenseite Riegel vorgeschoben wurden – woraus er schloss, dass noch ein zweiter Soldat im Haus war.
    MacIan drückte sich flach an die Hauswand und brachte einige Augenblicke damit zu, sich das Claymore wieder auf den Rücken zu hängen und zu überschlagen, wie viele Schritte es bis zu der Muskete waren, die er auf dem Boden hatte liegen lassen. Aus der gegenüberliegenden Ecke der Parade schossen aufs Geratewohl Yeomen auf ihn. Aber auf eine solche Entfernung nahm eine Musketenkugel lediglich Vorschläge entgegen – sie befolgte keine Befehle. Die Kugeln ließen über ihm Fenster zersplittern und stellten für die Soldaten im Haus wahrscheinlich ein ebenso großes Problem dar wie für das anvisierte Ziel.
    MacIan rannte los, riss die Muskete vom Boden hoch, wirbelte herum und stürmte um die Ecke in den offenen Geländeabschnitt zwischen dem Haus und dem Bloody Tower. Falls sie gehofft hatten, auf ihn hinunterschießen zu können, würden sie sich nun an anderen Fenstern zeigen und vielleicht in andere Zimmer verfügen müssen.
    Die Taktik ging auf, wie es bei einer billigen, schlichten Taktik gewöhnlich der Fall war: Durch ein Fenster im Erdgeschoss konnte er eine Tür auffliegen, einen Mann im roten Rock hindurchlaufen und dem Licht entgegenstürmen sehen – und dann entsetzt erstarren, als ihm aufging, dass er soeben dem Feind vors Visier gestolpert war. Das verschaffte MacIan den Augenblick, den er brauchte, um die Muskete mitten auf die rote Brust seines Gegners zu richten. Doch während er dies tat, bemerkte er, dass im ersten Stock ein Fensterflügel aufgerissen wurde und auch dort etwas Rotes aufblitzte.
    Worauf er eine sehr rasche Berechnung vornahm: Der Soldat im Erdgeschoss gehörte ihm. Es war nichts weiter erforderlich als eine winzige Bewegung des Abzugsfingers. Was den im ersten Stock anging, so würde er, falls er eine gebrauchsfertige Waffe hatte, gleich auf ihn, Rufus MacIan, schießen, ganz gleich, was er selbst tat; und falls er, Rufus, versuchte, seine Muskete zu heben und sie auf den Neuen zu richten, würde er wahrscheinlich vorbeischießen. Also betätigte er den Abzug.
    Was danach geschah, war lediglich zu erraten, weil er nur noch Pulverrauch sah. Doch gleich darauf kam vom Fenster oben zur Antwort ein Knall, und er spürte, wie der Boden unter seinen Füßen erzitterte. Das, nahm er an, musste der durch seine Beine in terra firma übertragene Einschlag einer Musketenkugel in seinen Körper sein; und wenn er still stand, würde er gleich spüren, wie die ersten, heißen Schmerzensstiche von der Eintrittswunde abstrahlten, würde ein unerklärliches Bedürfnis, sich zu räuspern, verspüren, während seine Lunge sich mit Blut füllte.
    Doch nichts dergleichen geschah. Der Rauch verzog sich. Aus so etwas wie professioneller Neugier heraus blickte MacIan zum Fenster auf, wollte den Soldaten zu Gesicht bekommen, der so unfähig war, dass er auf diese Entfernung vorbeischießen konnte, wollte sich an der Demütigung in den Augen des Engländers weiden, wenn dieser erkannte, dass er in den Boden geschossen hatte.
    Doch als sich der Rauch schließlich vollends verzogen hatte, sah er nichts dergleichen, sondern vielmehr ein Untier, einen Nachtmahr, wie eines der Gräuelbilder von

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