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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Malplaquet, die sich in seinem Gehirn drängten wie ausgestopfte Ungeheuer auf dem Dachboden eines alten Jägers und jede Nacht zum Leben erwachten, um ihn zu quälen, wenn er gerade dabei war, in Schlaf zu sinken. Dieses Untier bewegte sich, glitt schlaff vom Fenster herab und landete im Gras vor ihm auf dem Kopf. Es gelangte nicht zu einer anständigen Ruhelage. Vielmehr wurde die Leiche von etwas abgestützt: einer Halbpike oder einem Wurfspieß, der ihren Brustkorb durchbohrt hatte wie ein riesiger, fremdartiger, dem Skelett des Mannes aufgepfropfter Knochen.
    MacIan blickte nach oben in das leere Fenster, sah dort aber niemanden – der Spieß musste also von außen ins Fenster geflogen sein. Aber er, Rufus MacIan, war der einzige Mann im Hof, und er hatte keine Erinnerung daran, in letzter Zeit irgendwelche Speere geworfen zu haben. Das Wurfgeschoss musste also von oben gekommen sein. Er drehte sich zum Bloody Tower um und ließ den Blick vierzig Fuß schieren Steins bis zur Brustwehr emporwandern.
    Dort, von einem Spalt zwischen zwei Zinnen gerahmt, hob sich als Silhouette vor dem Himmel ein sehr großer Mann mit über die Brust herabwallendem Bart ab. Um ihn herum waren kleinere Männer aktiv, die zwischen den Geschützlafetten umherwuselten, die sich auf dem Dach dieses Turms befanden, sie so verschoben, dass sie in Richtung Fluss zielten, und die Rohre mit dicken Keilen fixierten, sodass sie nicht auf die Schiffe im Pool, sondern nach unten auf die Soldaten auf dem Anleger gerichtet waren.
    Der Große mit dem Bart hielt mit einer Hand eine weitere Halbpike gepackt. Er hob die andere und vollführte damit eine Geste. Es war keine Hand, sondern ein mit Stacheln versehener Haken, an dem ein feuchter Wust, möglicherweise Haare oder Kleiderfetzen, baumelte. Damit deutete er nach oben, weg vom Fluss, lenkte MacIans Blick von den Werkzeugen der Artilleristen zum Innersten des Towers von London. Über die Dächer der Lagerhäuser von Cold Harbour deutete er und über die Baracken der Soldaten und das Tor des innersten Hofes auf das erhabene Ziel, das inmitten des Ganzen stand und von seinen vier Türmchen aus über den Gebäudekomplex, den Fluss und die Stadt gebot: der White Tower. Dreimal stieß er seinen Haken in diese Richtung.
    Der Held vom Gy bedurfte keiner weiteren Aufforderung. Er ließ seine leere Muskete fallen, zückte – wie er vermutete, zum letzten Mal – sein Claymore und eilte zwischen schwirrenden Musketenkugeln hindurch auf das Tor von Cold Harbour zu.
     
    Wie jeder verurteilte Verräter, der etwas auf sich hielt, so hatte auch MacIan reichlich Zeit damit verbracht, dramatische Fluchten aus dem Tower von London zu planen. Er wusste, wo die Ausgänge waren. Heute allerdings musste er sie sich als Eingänge vorstellen.
    Es gab fünf Tore zum Inner Ward. Eines davon war eine alte Ausfallpforte in der Nordostecke, beim Brick Tower, die in die Münze führte. Sie war heute ohne Belang. Die anderen vier Tore waren in unregelmäßigen Abständen entlang der Water Lane verteilt. Der Bloody Tower und der Wakefield Tower enthielten jeweils ein Tor. Diese beiden Gebäude standen so dicht beieinander, dass sie praktisch ein einziges, unförmiges Bauwerk bildeten. Ein Spaziergänger, der die Water Lane ostwärts entlangginge, sähe als Erstes das Tor des Bloody Tower und dann, nach Umrundung der Bastion des Wakefield Tower, dessen Tor. Doch obwohl diese beiden Portale dicht beieinanderstanden, waren sie so unterschiedlich, wie sie nur sein konnten. Das erste war ein breiter, wuchtiger, stattlicher gotischer Bogen, der über den Hof, in dem Rufus MacIan gerade stand, direkt auf die Parade führte. Dank dem Russen wurde das Licht, das durch diesen Bogen schien, von einem massiven Eisengitter netzartig unterteilt. Dahinter konnte MacIan mehrere Rotröcke reglos in der Water Lane liegen sehen. Sie waren vom Anleger zurückmarschiert und hatten damit gerechnet, durch den Bogen wieder in den Inner Ward zu gelangen, waren jedoch durch das alte Fallgatter aufgehalten worden. Und in diesem Augenblick waren ein Dutzend schottischer Reiter mit geschwungenen Säbeln über sie hergefallen. Wenn Kavalleristen Infanteristen angriffen, war das Ergebnis niemals zweifelhaft, es sei denn, die Infanterie hatte Piken und war gut ausgebildet. Die Wharf Guard des Towers von London trug und benutzte keine Piken.
    Das zweite Tor war eine kleine Nebenpforte, die einem Zugang zu dem kreisförmigen Erdgeschoss des Wakefield Tower

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